Eine Nacht zum Sterben
hinweggegangen waren.
Das Wetter hatte sich doch nicht verschlechtert; einzelne Regenschauer waren noch gefallen, aber nun hatte es ganz aufgehört zu regnen. Malik hatte wieder das Steuer übernommen, und Chavasse und Darcy standen an der Reling.
Ein halbes Dutzend weißer Pferde standen auf einer Sandbank und sahen zu ihnen herüber; hinter ihnen, an Land, stolzierten Hunderte von buntgefiederten Flamingos.
»Was hast du nun vor, Paul?« fragte Malik. »Wollen wir ins Dorf, oder willst du weiterfahren?«
»Ich schlage vor, wir halten hier«, sagte Chavasse. »Du gehst in den Dorfladen und kaufst ein paar Sachen ein. Darcy und ich halten uns besser im Hintergrund, für alle Fälle.«
»Einverstanden.« Malik nickte. »Wenn wir weiterfahren, würden die Leute wohl nur um so neugieriger und sich fragen, wer wir sind und was wir wollen. Dorfbewohner sind auf der ganzen Welt gleich.«
Und Chatillon war ein winziges Dorf. Zwei primitive hölzerne Anlegebrücken ragten nur knapp aus dem Wasser, ein paar kleine Boote waren festgemacht, und an Land stand ein gutes Dutzend Häuser. Malik steuerte die Alouette an das äußerste Ende der einen Brücke, und Chavasse ließ sich im Hinterschiff nieder und machte sich an einer großen Angel zu schaffen; sie gehörte zu der Ausrüstung, die Malik besorgt hatte. In ihrer Umgebung tat sich nicht viel. Fünfzig Meter weiter arbeitete ein Mann an einem Fischerboot, und zwei Greise saßen auf dem ändern Kai und flickten Netze für die Wildhuhnjagd.
Malik kam nach einer Viertelstunde mit einer großen Papiertüte wieder; er hatte allerhand Eßbares eingekauft.
»Typische französische Dorfbewohner«, sagte er, als Chavasse ihm über die Reling half. »Voller Mißtrauen beäugen sie jeden Fremden, aber sie wollen bis in alle Einzelheiten wissen, was man hier vorhat.«
»Und was hast du ihnen erzählt?«
»Ich sei mit einem Freund aus Marseille gekommen, und wir wollten Vögel beobachten und ein bißchen angeln. Wie gesagt, solche Leute kommen hier fast jede Woche vorbei.«
»Und sie haben dir deine Geschichte geglaubt?«
»Vollkommen. Es war eine alte Frau, weit über siebzig Jahre alt, mit ihrem schwachsinnigen Sohn. Ich habe ihnen die Karte gezeigt und gefragt, wo man die Nacht über vor Anker gehen könnte; und dabei habe ich mich beiläufig nach Hellgate erkundigt.«
»Wie haben sie reagiert?«
»Ganz normal. Es sei ein privates Grundstück, bewohnt von netten Leuten; aber auf Besucher seien sie nicht besonders erpicht.«
»Sehr gut«, sagte Chavasse. »Dann wollen wir weiter. Es wird bald dunkel.«
Von ferne hörten sie es donnern; ein Gewitter stand bevor. Chavasse machte das Tau los. Malik startete. Darcy kam erst wieder an Deck, als sie außer Sichtweite waren. Sie befuhren einen schmalen Flußarm, dessen Ufer dicht von Schilf bestanden waren.
Chavasse kletterte auf das Dach der Kabine und breitete die Karte aus. Am Anfang war es noch ziemlich einfach, ihren Kurs zu verfolgen; aber es wurde schwieriger, je tiefer sie in das Sumpfgebiet eindrangen.
Sie hatten absichtlich keine Route gewählt, die sie direkt nach Hellgate geführt hätte. Sie hielten sich in nordöstlicher Richtung und näherten sich schließlich ihrem Ziel von der rückwärtigen Seite her.
Es war schon fast dunkel, als sie in eine kleine Lagune einbogen, und Chavasse rief leise: »Okay, bis hierher.«
Malik schaltete den Motor aus, und Darcy warf den Anker. Das Wasser mochte an dieser Stelle zweieinhalb Meter tief sein. Plötzlich war alles still; nur die Ochsenfrösche quakten noch, und ab und zu raschelte im Dickicht ein Vogel.
»Wie weit ist es noch?« fragte Darcy.
»Ich schätze vierhundert Meter, mehr nicht«, sagte Chavasse.
»Bei Sonnenaufgang nehmen wir das Schlauchboot und sehen uns das Gelände aus der Nähe an.«
»Wird interessant werden«, sagte Malik.
»Das denke ich auch.«
Über ihnen ertönte ein gewaltiges Donnern; ein wolkenbruchartiger Regen setzte ein. Sie stiegen eilig über die kleine Treppe in die Kabine. Draußen war es vollkommen dunkel.
13
Die Welt war kalt, grau und häßlich, als Chavasse am nächsten Morgen um vier Uhr dreißig an Deck ging. Der Regen prasselte mit unverminderter Heftigkeit auf die Sumpflandschaft nieder. Das Schilfrohr, die Büsche und das Dickicht in ihrer Umgebung waren in der Morgendämmerung zum Leben erwacht. Vögel riefen aufgeregt durcheinander, und Wildgänse erhoben sich zum Flug durch den Regen.
Er hatte
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