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Eine naechtliche Begegnung

Eine naechtliche Begegnung

Titel: Eine naechtliche Begegnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meredith Duran
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explodierte. Nell schüttelte den Kopf und sah wieder aus dem Fenster.
    Aus dieser Höhe sahen die Menschen viel kleiner aus. Ihre Gesichter verschwommen bei der schnellen Fahrt. Sie erkannte nur offene Münder, Augen, die nach oben gerichtet waren. Die Leute glotzten der großen, vorbeirasenden Kutsche hinterher. Sprangen zurück, um ihre Füße oder Hälse zu retten.
    Eigentlich war sie es gewohnt, selbst fast überfahren zu werden. Hinter der Kutsche, das wusste sie, wurden Fäuste erhoben, wie stumme und hoffnungslose Beschimpfungen. Aber in den feinen Gefährten bemerkte das niemand.
    »Sie könnten etwas langsamer fahren«, sagte sie.
    »Ich dachte, Sie hätten es eilig.«
    Das stimmte. Sobald er gesagt hatte, dass er Hannah freibekommen könnte, waren ihre Verwunderung, ihre Skepsis in sich zusammengefallen. Angesichts dieses Angebots hatten Zweifel keine Bedeutung mehr, Fragen waren Zeitverschwendung. »Ich habe es eilig«, sagte sie. »Macht aber keinen Unterschied. Sie könnten etwas langsamer fahren.«
    Einen Augenblick lang musterte er sie. Dann beugte er sich vor, und sie atmete zischend ein. Es zuckte leicht in seinen Mundwinkeln. Er hatte bemerkt, dass sie ganz leicht zur Seite ausgewichen war, als er die Hand hob, um hinter ihr an eine Scheibe zu klopfen. Er war jetzt so nah, dass sie seine Wärme spürte. Ihr Puls beschleunigte sich, und unwillkürlich hielt sie den Atem an, als hinter der Scheibe ein Gesicht erschien: einer der Lakaien.
    Eine kleine Luke öffnete sich. »Eure Lordschaft?«
    »Ein wenig langsamer«, sagte seine Lordschaft und lehnte sich träge und geschmeidig wie eine Schlange wieder zurück. Ihre Blicke trafen sich. Erwartungsvoll hob er eine Braue.
    Grimmig presste sie die Lippen aufeinander und schwieg. Es gehörte sich einfach, langsam zu fahren. Er verdiente nicht auch noch Dank dafür. Und seine Geschichte ergab sowieso keinen Sinn. Die Briefe bewiesen gar nichts. Der eine war von Michael gewesen, dem größten Lügner der Welt. Immerhin wusste sie jetzt, wo letztes Jahr plötzlich das viele Geld hergekommen war: Fünfzig Pfund hatte er vom alten Earl erpresst.
    Aber der andere Brief? Vielleicht hatte die Schrift eine leichte Ähnlichkeit mit Mums gehabt, aber nicht eindeutig genug. Und es konnte einfach nicht wahr sein. Wenn Jane Whitby nicht ihre Mutter war, wer war sie dann gewesen? Sicher keine Frau, die anderen Leuten die Kinder stahl.
    Die Kutsche fuhr unter einem Torbogen hindurch in einen kleinen, ummauerten Hof. Auf knirschendem Kies kam das Gefährt zum Halten. Die Tür wurde geöffnet, und ein Mann in einer tristen, grünen Livree klappte das schmale Treppchen aus.
    St. Maur erhob sich, ein großer Mann auf engem Raum. Nell presste die Waden gegen den Sitz, aber diese Maßnahme erwies sich als unnötig. Er duckte sich lässig, drehte sich um und kletterte die Stufen hinab auf den Boden. Das wässrige Sonnenlicht glänzte auf der Krempe des Zylinders, der einen tiefen Schatten über seine Augen warf.
    Rasch strich er mit Daumen und Zeigefinger darüber und rückte den Hut gerade. Der Lakai trat vor, um die lange, schwarze Jacke abzuklopfen. St. Maur legte den Kopf zurück, bis ihre Blicke sich trafen.
    »Es dauert nicht lange«, sagte er. »Sie warten in der Kutsche.«
    Plötzlich fielen ihr Hunderte möglicher Schwierigkeiten ein. Sorge brachte sie dazu aufzustehen. »Aber woran wollen Sie sie erkennen?«
    »Setzen Sie sich wieder hin«, erwiderte er nur, trat einen Schritt zurück und wartete, bis sie gehorchte.
    Starr vor Wut nahm sie zähneknirschend Platz. Er hatte ihr überhaupt nichts zu sagen! Sobald die Umstände es erlaubten, würde sie ihm das klarmachen.
    »Hannah Crowley«, sagte St. Maur ruhig. Er prüfte den Sitz seiner Handschuhe, strich sie glatt und zupfte an ihnen herum, während der Lakai gebückt hinter ihm stand und das Jackett abbürstete. »Das stimmt doch?«
    »Ja, aber man könnte Sie hereinlegen und eine andere freilassen. Vielleicht sitzt ja auch eine Freundin von denen da drin. Sie könnten versuchen …«
    »Das werden sie nicht«, sagte er. Ohne Prahlerei, er stellte einfach eine Tatsache fest. Niemand würde es wagen, ihm einen Streich zu spielen.
    Der Lakai richtete sich auf und trat zurück. St. Maur stand jetzt allein im Torweg vor der hässlichen grauen Fassade des Gefängnisses. Fragend legte er den Kopf schief. »In Ordnung?«
    Langsam nickte sie.
    Er schenkte ihr ein schwaches Lächeln. »Haben Sie ein wenig Vertrauen«, sagte

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