Eine naechtliche Begegnung
mehr darauf achtet, voneinander fernzubleiben, als sich näherzukommen.«
»Gute Frage. Ich würde sagen, dass der Kern eines Flirts mit Distanz zu tun hat und der Möglichkeit, diese zu überwinden.«
»Vielleicht«, sagte sie. »Wo ich herkomme, machen wir das anders. Aber es sollte mich nicht überraschen, wenn Leute Ihres Schlags selbst einen Flirt auf den Kopf stellen.«
Er sah belustigt aus. »Wie … wie macht man es denn bei Ihnen, wenn man flirten will?«
Aus irgendeinem Grund ärgerte sie seine Neckerei. »Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll.«
»Dann demonstrieren Sie es doch.«
Sie warf ihm einen ungläubigen Blick zu. »Sie machen Witze.«
»Keineswegs.« St. Maur trat zurück an die Wand und lehnte sich mit einer Schulter dagegen, während er einen Stiefel über den anderen kreuzte. Das war nun wirklich eine sehr passende Haltung für seinen Vorschlag. Jeden Tag hatte ein Dutzend Jungen in dieser Position vor der Fabrik herumgelungert, während sie auf den Gong warteten, um nach den Mädchen schielen zu können.
Aber er war kein Junge. Er war ein Mann, mit den Schultern eines Mannes, den wissenden Augen eines Mannes und einem Mund, der jede Frau unter neunzig in Versuchung führen konnte. In den letzten Tagen hatte er es ihr leicht gemacht, ihm aus dem Weg zu gehen, aber beim Gedanken daran, ihm irgendetwas zu demonstrieren, wurde sie sofort rot. »Ich kann nicht«, murmelte sie.
»Sie haben also nicht geflirtet.«
Er klang leicht enttäuscht. Nells Augen wurden schmal. Sie wusste ganz genau, wann man sie anstachtelte wie einen Hahn auf dem Kampfplatz. »Sie wollen mich nur dazu bringen, es Ihnen zu zeigen.«
»Will ich das?«, fragte er grinsend. »Oder habe ich es schon geschafft?«
Das Grinsen überzeugte sie. Es war albern, nervös zu sein, wenn er sich so kameradschaftlich verhielt. Und wie sehr hatte sie sich nach einer freundlichen Unterhaltung gesehnt! Bis zu diesem Augenblick hatte sie gar nicht bemerkt, wie einsam sie sich gefühlt hatte. Welchen Sinn hatte es überhaupt, hübsche Kleider zu tragen, wenn man sie nicht an einem Mann ausprobieren konnte?
»Na gut. Zuerst werfen wir dem Mann einen aufreizenden Blick zu«, sagte sie in einem Atemzug. »Und dann …«
»Ich dachte, Sie würden es mir demonstrieren«, unterbrach er sie. »Wenn ich einen Vortrag hören will, gehe ich in die Akademie.«
Nell verdrehte die Augen. »Sie glauben wohl, dass Sie ziemlich clever sind, oder?«
»Das weiß ich«, sagte er, und sein Grübchen kam zum Vorschein.
Als sie das Echo ihrer eigenen Worte erkannte, lachte sie. Er war wirklich ein Charmeur. Und er würde mehr bekommen als das, worum er gebeten hatte. Wenn er wüsste. »Sehr gut, Eure Lordschaft«, sie deutete einen albernen Knicks an. »Dann wird Ihnen das Mädchen von der Straße mal was zeigen.«
Nell drehte sich weg und betrachtete ihn aus den Augenwinkeln. Es kostete sie keine Mühe, bewundernd zu gucken. Kaum etwas war so appetitlich wie ein großer, langbeiniger Mann mit schlanker Taille und hübschen, schmalen Hüften.
Dann riss sie den Kopf herum und stolzierte weiter. Nachdem sie bis drei gezählt hatte, blieb sie stehen. »Bitte schön«, sagte sie, als sie sich wieder umdrehte.
Er zog eine Augenbraue hoch. »Das war alles?«
»Das ist die erste Stufe. Flirten ist ja nicht in einer Minute vorbei, St. Maur. Es braucht ein paar Tage, um in Gang zu kommen.«
»Ein paar Tage!«
»Manchmal ein oder zwei Wochen.« Ein wenig aufgebracht starrte sie ihn an. »Mit was für Ladys pflegen Sie denn Umgang zu haben? Sagen Sie bloß nicht, dass diese Mädchen in den lilienweißen Kleidern nach einer Stunde am Ende ankommen?«
St. Maur lachte. »Oh, das hängt davon ab, wie man Ende definiert. Wir können uns gern darüber austauschen.« Etwas vage fügte er hinzu: »Liebend gern würde ich Ihnen eine Vorführung geben.«
Ihr Gesicht glühte. »Darauf wette ich. Aber nein, ich glaube lieber nicht.«
Sein Lächeln brauchte Zeit, um breiter zu werden. »Sie haben recht. Eins nach dem anderen, mit der gebührenden Konzentration. Das ist auch meine Philosophie.«
Zweifelnd beäugte sie ihn. »Sind Sie schon bei Ihrer Vorführung?«
»Aber nein«, sagte er mit komisch unschuldigem Blick. »Also, Nell, aufreizende Blicke. Was kommt dann?«
»Nun, nachdem man dem Typen ein paar Tage lang Blicke zugeworfen hat – und aufgepasst: Wenn er näher kommt, lässt man ihn nicht. Wir stellen uns dann ganz schnell zu unseren Freundinnen
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