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Eine naechtliche Begegnung

Eine naechtliche Begegnung

Titel: Eine naechtliche Begegnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meredith Duran
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Gegenwart von Gentlemen spricht man nicht über Beine, Lady Cornelia.«
    Nell zog eine Grimasse. Auch Mrs Hemple gehörte zu diesen Leuten, die St. Maur ihr aufgenötigt hatte – eine dieser molligen, selbstzufriedenen, älteren Frauen, die zu allem eine Meinung hatten. Im Moment diente sie als Pianistin, aber eigentlich waren Manieren ihr Spezialgebiet. Sie folgte Nell überallhin, von den Tanzstunden über die Sprechübungen bis hin zum Abendessen und bemängelte jede verfluchte Kleinigkeit, die Nell falsch machte.
    Offenbar durften Ladys zum Dinner keinen Käse essen. Nicht einmal Käsegebäck. Sie brauchten wenigstens eine Minute, um ihre Handschuhe auszuziehen, damit es nicht hastig wirkte. Sie sprachen nicht über ihren eigenen Körper. Wahrscheinlich sollten sie gar nicht wissen, dass sie einen Körper hatten. Das könnte vielleicht dabei helfen, nicht über Beine zu sprechen. Welche Beine? Ladys schwebten, nahm Nell an. Wahrscheinlich stellten sie sich vor, Flügel zu haben.
    Für einen kurzen Moment sah sie sich selbst, wie sie mit flatternden Armen über den glatten Eichenboden wirbelte. Ein Kichern entschlüpfte ihr.
    Palmier fuhr sichtlich auf. »Wenn Sie noch einmal lachen, bleibt mir keine Wahl …«
    »Und was?« Sie hatte es satt, dass man sie beurteilte und für unzulänglich befand. Und alle starrten sie an wie ein Tier im Zoo. Aber sie war weder eine Idiotin noch war sie unfähig. Sie hatte ihr Brot mit viel schwierigeren Dingen verdient, als über Fußböden zu schweben oder Ladys beizubringen, wie man sich anständig umdreht oder hinsetzt. »Was wollen Sie dann mit mir machen?« Sie machte einen Schritt auf ihn zu. »Das würde ich gern mal sehen!«
    Eine träge Stimme kam aus dem Türrahmen. »Was für eine faszinierende Erziehungsmethode.«
    Palmier wirbelte herum, als St. Maur hereingeschlendert kam. »Eure Lordschaft. Ah – wir ’aben eine kleine Pause gemacht.«
    Nells Stimmung hob sich. St. Maur sah in seinem taubengrauen Anzug ziemlich reich aus, und wie absurd war es bitte, dass sie sich freute, ihn zu sehen? Aber wenigstens sprach er mit ihr wie mit einem menschlichen Wesen. Das musste er auch, ermahnte sie sich. Es war seine Idee, sie hierzubehalten und diese Farce zu veranstalten. Sie hatte ihn nicht darum gebeten.
    Er blieb vor ihr stehen und verbeugte sich kurz. »Lady Cornelia.«
    »So heiße ich angeblich.«
    Er sah sie eindringlich an, sein Blick wurde fast herausfordernd, während sich Stille ausbreitete.
    Sie verdrehte die Augen und streckte die Hand aus, wie Hemple es ihr beigebracht hatte. »Einen guten Morgen«, leierte sie herunter.
    Er nahm ihre Hand und drückte sie leicht. »Ihnen auch.« Als er sie wieder losließ, schien die Wärme seiner Finger noch auf ihrer Haut zu verweilen. »Machen Sie weiter, Sir«, sagte er zu Palmier.
    Palmier machte einen flinken Schritt vorwärts. »Kinn hoch«, sagte er halblaut. »Denken Sie an Ihre Arme.«
    Als könnte sie ihre Arme vergessen! Schließlich waren sie an ihr festgewachsen! Nell biss sich auf die Zunge, unterdrückte aber nicht den mürrischen Blick. Sie würde diesen dämlichen Walzer hinkriegen. Selbst Mum hatte ihr Talent fürs Tanzen bewundert, wenn auch widerwillig. Mum hatte immer gesagt, dass die Tanzerei in Bethnal Green nur ein Vorwand für Sünde und Verderben war.
    Sie schob den Gedanken beiseite. Sie durfte jetzt nicht an Mum denken. Sonst käme auch die Trauer zurück, dieser deprimierende Schmerz an genau der Stelle, wo die Stäbe des Korsetts sie am schlimmsten drückten. Sie legte die Faust darauf und atmete so tief ein, wie sie konnte. »In Ordnung«, sagte sie zu Palmier, der ungeduldig von einem Fuß auf den anderen trat. Es brachte nichts, sich wegen ihres Ungeschicks dumm oder albern vorzukommen. Mum hatte gesagt, sie solle Rushden um Hilfe bitten. Solange sie diesen Ort irgendwann mit einer hübschen kleinen Kollektion von Dingen verließ, die sie verkaufen konnte, konnte sie sich als erfolgreich bezeichnen.
    Sie trat vor und gab dem Froschfresser die Hand. Mrs Hemple begann zu spielen.
    Die ersten Drehungen gingen ganz gut, aber in der hinteren Ecke stolperte sie und übernahm dann irgendwie die Kontrolle: Plötzlich führte sie, anstatt zu folgen, und dann erstarb die Musik, und Palmier riss sich von ihr los.
    Er drehte sich so zögernd zu St. Maur um, wie ein Mann, der vor einem Erschießungskommando steht. »Sie macht Fortschritte, aber …«
    »Ja, das sehe ich.« St. Maurs Mund wurde schmal, als

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