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Eine naechtliche Begegnung

Eine naechtliche Begegnung

Titel: Eine naechtliche Begegnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meredith Duran
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Rushden und die Countess ihn erwartet hatten, war einsam und bitter gewesen. Heranwachsende Jungen konnten ziemlich düstere Gedanken entwickeln, und die Erkenntnis, dass er sich nicht allein durchschlagen konnte – dass er keine Wahl hatte, als mit eingezogenem Schwanz zu Rushden zurückzukehren –, hatte sich damals wie der härteste Schlag angefühlt, den das Leben austeilen konnte.
    Jetzt fiel ihm ein, dass Nell im gleichen Alter halbtags in einer Schachtelfabrik gearbeitet hatte. Jedenfalls hatte sie das bei einem gemeinsamen Frühstück behauptet. Sie hätte an seiner Stelle genau gewusst, wie sie sich durchschlagen könnte.
    Der Gedanke fesselte ihn. Als Harcourt sich räusperte, kostete es Simon einige Mühe, seine fünf Sinne für eine Antwort zusammenzunehmen. »Ja, das Jagdrennen. Ich muss das vergessen haben.« Er erinnerte sich an kaum etwas aus diesem Sommer, außer an seine Wut. Sie hatte ihn zu einer Reihe von Dummheiten getrieben – zum Beispiel einen unmöglichen Sprung, den er sich auch Jahre später nicht verzeihen konnte. Er selbst hatte sich das Schlüsselbein gebrochen, aber sein Pferd Jupiter hatte nicht so viel Glück gehabt.
    Rushden hatte darauf bestanden, dass Simon selbst die Kugel abfeuerte, die Jupiters Leiden beendete. Eine der wenigen Entscheidungen, die Simon respektiert hatte.
    »Aber du musst sie doch irgendwann gesehen haben«, sagte Harcourt.
    Simon strich mit den Fingern an der Flasche hinunter, die zwischen ihnen stand. »Ein paar Mal. Nur kurz.« Er hatte die Zwillinge kennengelernt, als er in den Schulferien in Paton Park gewesen war. Er wusste noch, dass er Cornelia und Katherine einfach nicht auseinanderhalten konnte. Rückblickend hatte er eine Ahnung. Nell hatte Bonbons von ihm verlangt. Kitty hatte ihm eine Puppe an den Kopf geworfen, als er zugab, keine zu haben.
    »Hat sie sich denn sehr verändert?«
    »Sie war damals fünf Jahre alt«, sagte Simon trocken. »Denk mal nach.«
    »Nein, ich meine, ob …« Harcourt rutschte auf seinem Stuhl herum. »Du sagtest, dass sie in einem Armenviertel gewohnt hat. Merkt man ihr das an?«
    »Kannst du dir vorstellen, dass es anders wäre?«
    »Ich dachte nur …« Harcourt zögerte. »Ich frage mich, ob sie Teile ihrer Erziehung bewahren konnte. Sie ist ja wohl nicht wie … der Rest von denen?«
    Simon war sprachlos. Es war nicht die aberwitzige Frage selbst, die ihm zu denken gab, sondern die Erkenntnis, die sich ihm dadurch aufdrängte. Obwohl Harcourt privilegiert aufgewachsen war, war er vielgereist und aufgeschlossen. Wenn sogar er auf den Gedanken kam, dass Nells hohe Herkunft ihr erlaubt haben könnte, unbeeinträchtigt durch die Umstände ihres Heranwachsens zu schweben, dann würden die meisten ihrer Standesgenossen sich das nicht nur vorstellen, sondern es von ihr erwarten.
    Was für ein Jammer. In den letzten Wochen hatte sie ihre Haltung gegenüber ihren Lehrern verändert. Die Ergebnisse ihrer begeisterten Anstrengungen waren allerdings misslich. Von Bethnal Green nach Mayfair war es ein weiter Sprung. Aber Simon hatte darauf spekuliert, dass sie lediglich die elementare Fähigkeit brauchte, die Menschen, die ihre Eignung zur Lady Cornelia beurteilen mussten, nicht vor den Kopf zu stoßen.
    Harcourts Fragen zwangen ihn jetzt dazu, das Problem noch einmal zu überdenken. Selbst wenn sie ihr Erbe erhielt, würde sie nicht automatisch alle Privilegien zurückbekommen, die ihr von Geburt aus zustanden. Kitty Aubyn bewegte sich in dieser Welt mit der Sicherheit, darin erwünscht zu sein. Für Nell wäre es nie einfach dazuzugehören.
    Sie ist ja wohl nicht wie der Rest von denen?
    Natürlich war sie das.
    Er versuchte, sein eigenes Unbehagen zu besänftigen. Ihr Vermögen würde einige der Probleme abmildern, die ihr neues Leben mit sich bringen könnte. Sie hatte kein Interesse an den gesellschaftlichen Kreisen, in denen man ihre mangelhaften Umgangsformen verachten könnte. Warum sollte sie auch? Er hatte früh gelernt, dass die Anerkennung vieler Menschen ihren Preis nicht wert war.
    Harcourt wand sich unter seinem Schweigen. »Zum Kuckuck, Rushden, du weißt, was ich meine. Bethnal Green! Das ist wohl der elendste Fiebersumpf in ganz London!«
    »Wohl eher nicht«, sagte Simon ausdruckslos. »Ich denke, diese Ehre gebührt Whitechapel.«
    Der Kellner erschien und räusperte sich, um diskret ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Simon nahm die Rechnung und ignorierte die Klage seines Freundes, als er seine Brieftasche

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