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Eine naechtliche Begegnung

Eine naechtliche Begegnung

Titel: Eine naechtliche Begegnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meredith Duran
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auch versuchte, er würde sie nie ganz kennen. Nie könnte er ahnen, dass sie mehr als einmal eine Ratte von einem Stück Brot wegjagen musste, bevor sie es gegessen hatte. Dass sie wegen ein paar Münzen im Dreck gekniet hatte, hingeworfen von Männern und Frauen, die hinter den Fenstern ihrer feinen Kutschen gelacht hatten. Er ahnte das nicht, weil Fantasie allein nicht genügte, um die Distanz zwischen seiner Welt und Bethnal Green zu überbrücken. Nichts konnte das. Gäbe es eine Brücke zwischen beiden Welten, wäre eine von beiden längst niedergebrannt.
    »Verzeihen Sie, dass ich Sie warten ließ, Mylady«, sagte er leichthin, spielerisch.
    »Das ist in Ordnung«, sagte sie heiser. Sie fühlte sich, als würde sie am Rand von irgendetwas balancieren. Beim nächsten Schritt, dem Schritt in das unbekannte Gebiet, würde die Brücke hinter ihr einstürzen.
    Er legte den Kopf schief, hatte die Schläfe an den Türrahmen gelehnt. Er probierte den Titel im Vergleich zu ihrem Anblick. »Lady Rushden«, murmelte er.
    Sie wollte den Schritt tun. Es erschreckte sie und zog sie gleichzeitig an. Sie waren jetzt verheiratet – vor Gott und den Menschen, wie man so schön sagte. Sie wollte auf seiner Seite der Brücke bleiben. Sie wollte mit Hunger, Kälte und Angst abschließen. Er war so schön wie die Welt, in der er lebte. Sie wollte für immer bei ihm bleiben.
    Entschlossen holte sie Luft und stand auf. Ihre Glieder fühlten sich steif an. Er musste nicht erfahren, wie die andere Seite aussah. Er musste nichts wissen von den Ratten, den bitteren Nächten und der Bettelei. Er gehörte jetzt ihr, und heute Nacht würde ihre Verbindung vollzogen werden. Niemand würde ihn ihr mehr wegnehmen.
    Allerdings hatte er sich keinen Zentimeter von der Tür entfernt.
    Sie streckte sich und hob das Kinn. Er würde ja wohl jetzt keinen Rückzieher machen. Sie würden das durchziehen. »Können wir vielleicht anfangen?«
    Er lachte. »Meine Güte. Ist es wirklich so schlimm?«
    Das Lachen machte sie wütend. Den ganzen Abend hatte sie auf diesem Sessel auf ihn gewartet. Sie war krank vor Angst gewesen – das begriff sie erst jetzt –, dass er die Heirat doch bereute und ausgegangen war, um mit seinen Anwälten zu beraten, wie er sie auflösen konnte. Und jetzt lachte er sie aus? Die ganze Zeit hatte sie wie ein ängstlicher, verdrießlicher Hund gewartet. Was für ein Recht hatte er, sie warten zu lassen?
    Jedes Recht.
    Ihr stockte der Atem. Natürlich, jetzt, wo sie verheiratet waren, hatte sie keine Wahl mehr, oder? Für den Rest ihres Lebens, wann immer er Lust bekam, würde er mit ihr tun, was er wollte, würde verlangen, dass sie durch diese Tür ging und sich vor ihm entblößte.
    Oder dass sie wartete. Es wäre seine Wahl, nicht ihre.
    Aber eine Wahl hatte sie. Sie war vielleicht unbedeutend, aber es war eine Wahl.
    Sie ging auf ihn zu. Er stieß sich vom Türrahmen ab, gespannt, aufmerksam. Sie konzentrierte sich auf den Punkt, wo sein Haar seinen Kragen berührte, pechschwarze Locken, die kreuz und quer über dem frischen weißen Stoff lagen. Sie fuhr durch diese warmen und weichen Locken und spürte die Hitze seiner Haut, als sie seinen Nacken packte. Dann zog sie seinen Kopf zu sich herunter.
    Es war heute schon das zweite Mal, dass sie ihn küsste, und diesmal war er bereit für sie: Er umfasste ihre Taille, seine Lippen waren fest. Sie trat dicht an ihn heran, zwang ihn, einen Schritt rückwärts zu gehen. Sie wäre eine andere Art von Ehefrau. Sie würde nicht auf seine Entscheidung warten. Sie entschied selbst.
    Simon hatte sich auf eine Herangehensweise festlegen wollen – absurde Aufgabe. Er hatte länger darüber nachgedacht, wie er seine Frau verführen sollte (seine eigene Frau, er war verheiratet!), als jemals über die viel komplizierteren Verführungen von Frauen, deren Ehemänner unvorhersehbare Tagesabläufe hatten, von Frauen mit eifersüchtigen Liebhabern und wichtigen politischen Verbindungen. Letzte Nacht hatte er sie beinahe auf dem Billardtisch genommen, aber heute war es ihm so wichtig erschienen, Zurückhaltung zu zeigen. Sich selbst zu beweisen, dass er zurückhaltend sein konnte.
    Er hatte sich von seinen Räumen ferngehalten. Hatte sich absichtlich, vorsichtig und entgegen seinem inneren Drang von der Tür ferngehalten, die ihre beiden Wohnzimmer miteinander verband. Nach dem Essen hatte er einen Brandy getrunken, dann ein oder zwei Stunden lang ein paar Partituren durchgesehen, die

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