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Eine private Affaere

Eine private Affaere

Titel: Eine private Affaere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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gesagt, weil Du es sonst vielleicht mißverstanden hättest (ich kann mir vorstellen, wie verletzt Du noch immer auf die Nachricht reagieren mußt), aber irgendwie scheint das jetzt nicht mehr so wichtig zu sein. Vor zwei Wochen habe ich Oliver wiedergesehen (einmal – in Gesellschaft). Er hat mir mehr oder minder aufgelauert und mich angefleht, mit ihm in ein Café zu gehen, und das habe ich auch getan. Er hat mir gesagt, daß alles Gute in seinem Leben sich aufzulösen scheine, und ich habe ihm geantwortet, mir gehe es genauso.
    Er hat mich gefragt, ob ich Dich gesehen hätte, und ich habe geantwortet, wir schrieben uns viel (ich wollte keine falschen Hoffnungen in ihm wecken durch die Nachricht, daß Du seit dem Tod meiner Mutter kein Wort mehr mit mir gesprochen und mir nie geschrieben hast). Dann ist es plötzlich aus ihm herausgeplatzt, daß er mich liebt. Er hat gesagt, er könne nicht wie ein anämischer Bourgeois lieben, er könne mir bloß sagen, daß er mich liebe und sein Leben für mich geben würde. Dann ist er in Tränen ausgebrochen, und weißt Du was – die ganze Zeit hab’ ich gedacht: Wenn das nur Du wärst, Jimmy. Wenn Du es wärst, würde ich nicht einmal verlangen, daß Du mich liebst. Wenn Du Dich nur einmal gehenlassen und weinen, wenn Du Dich selbst wiederfinden würdest, könntest Du sicher (Du siehst, wie eingebildet ich bin!) Deine Liebe zu mir ganz tief in Deinem Herzen wiederfinden. D.
     
    Lieber James, das Verfahren ist also zu Ende, und Du bist wieder in London, und ich muß in die Chambers schreiben, weil ich nicht weiß, wo ich Dich sonst erreichen kann. Eigentlich sollte ich Dir zu Deinem Sieg gratulieren (gut gemacht! Wieder ein Ganove mehr, der frei herumläuft! ), aber zum erstenmal stelle ich fest, daß sich eine gewisse Bitterkeit in mein Herz geschlichen hat. Wenn ich die Liebe nicht wiederfinde, werde ich alle Großzügigkeit verlieren. Ich habe den Eindruck, daß ich meine Seele verliere. Ich hatte wirklich gedacht, Du hättest keine Waffen mehr, mit denen Du mich verletzen könntest. Aber Du hast doch noch eine gefunden, nicht wahr?
    Ich kann es nicht glauben, daß Du wieder in London bist und ich noch immer nichts von Dir gehört habe. Hast Du Dir eine neue Wohnung gesucht? Bist Du bei Freunden untergekrochen? Ich habe drei Tage hintereinander vor den Chambers auf Dich gewartet, aber Du hast Dich nicht blicken lassen, und Deinen Clerks war es peinlich, mit mir zu sprechen. Sie haben mir lediglich gesagt, daß Du im Augenblick lieber Fälle außerhalb Londons annimmst.
    Kannst du all unsere gemeinsamen Jahre wirklich einfach so wegschieben? Du hast mich geliebt, mehr, als die meisten Männer je lieben werden. Vielleicht ist es das, was so weh tut, aber abstreiten kannst Du es nicht. Jedenfalls nicht vor Gott. Nicht einmal, wenn Du in den Spiegel schaust. D.
     
    Lieber James, ich habe gestern einen Spaziergang in Hampstead Heath gemacht, dort, wo wir immer zusammen waren. Es war kalt und windig, und obwohl noch Sommer ist, lagen schon viele Blätter auf dem Boden oder hingen bereits braun an den Bäumen. Ich stand auf einem Hügel und hatte das Gefühl, nicht mehr als ein Körper zu sein, ein leerer Körper, durch den der Wind bläst. Ich glaube nicht, daß ich Dir noch einmal schreiben werde. D.
     
    Und wo warst du, James Knight, als sie ihr Herz ausschüttete? Hast du, grinsend wie ein Wahnsinniger, dein Ohr ans Schlüsselloch gedrückt? Hast du das gemacht?
    Zum Teil ja. Ein Teufel mit meinem Gesicht labte sich an ihren Leiden. Ich wehrte mich gegen ihn, aber er war stärker als ich. Ich bekam den Gedanken nicht aus dem Kopf, daß sie das alles irgendwie geplant hatte – und daß der Tod ihrer Mutter eine willkommene Ausrede für sie gewesen war. Außerdem konnte ich das verletzende Ende des ersten Briefes nicht vergessen: »Ich bin bei Oliver. Daisy.«
    Ich wußte ganz genau, daß ich ihr vergeben hätte müssen. Dabei ging es weniger um das Wort »vergeben« als um den Gedanken. Doch ich stellte fest, daß man die Fähigkeit zu vergeben ebensowenig heraufbeschwören kann wie einen sonnigen Tag. Ich wußte selbst, daß ich meinem Wesen nach aus Fragmenten bestand; nur sie hatte mich ganz gemacht. Und diese Ganzheit hatte ich für immer verloren. Ein Mensch, der nur aus Fragmenten besteht, verzeiht nicht. Im Gegenteil: Er haßt den Menschen, der ihm das fehlende Teil gestohlen hat.

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    An einem kalten, toten Tag mitten im Winter (so erschien es mir zumindest)

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