Eine private Affaere
ziemlich grob mit Daisy um. Ich weiß nicht, was George ihnen erzählt hatte, wahrscheinlich etwas ähnlich Banales, wie es Zeitungen formulieren würden: F EMME F ATALE KOMPROMITTIERT BEKANNTEN A NWALT ODER LIEBESKRANKER A NWALT GEWÄHRT M ÖRDERIN U NTERSCHLUPF .
Daisy schien ihre Grobheit nicht aufzufallen. Noch bevor George mit seinem Spruch fertig war (»Mrs. Daisy Thirst, geborene Hawkley, die auch den Familiennamen Smith benutzt, wird hiermit der Mord an ihrem Ehemann Oliver Harry Thirst am … 1986, an der Kreuzung … Street und … Street zur Last gelegt. Der Tod wurde durch eine aus geringer Entfernung abgefeuerte Kleinkaliberpistole zwischen ein und fünf Uhr morgens herbeigeführt«), fiel sie in Ohnmacht. Ich zischte George zu, daß er mir das mit seiner Karriere bezahlen würde. Er murmelte etwas, das fast nach einer Entschuldigung klang.
Als Daisy wieder zu sich kam, mußte George alles noch einmal wiederholen. Diesmal fügte er hinzu, daß sie nichts sagen müsse, daß aber alles, was sie sagte, notiert werde und als Beweis gegen sie verwendet werden könne.
Allmählich begriff sie. Sie sah, daß unser sechzehn Tage währender Traum dabei war, sich zu verflüchtigen. Ihr wurde klar, daß sie sich mit dem sadistischen Labyrinth des Gesetzes und den langen Monaten der Depression auseinandersetzen mußte, die nun unweigerlich folgten, egal, wie das Ergebnis aussah.
George wollte sie mit dem Wagen, in dem sie gekommen waren, aufs Polizeirevier bringen.
»Ich fahre sie hin«, erklärte ich ihm.
Ich fuhr Daisy zum Hampsteader Polizeirevier, das man gut auch zu Fuß hätte erreichen können, und mußte sie aussteigen lassen, während ich einen Parkplatz suchte.
»Geh nicht ohne mich rein«, sagte ich, und sie wartete artig und verwirrt, bis ich wiederkam. Plötzlich tauchte ein halbes Dutzend Pressefotografen aus dem Nichts auf und machte Fotos. An jenem Tag erschien auf der Titelseite der Abendzeitung ein Bild von Daisy, die mit verwirrtem Ausdruck das Revier betrat. Auch ich war mit verkniffenem und wütendem Gesicht abgebildet. Natürlich lautete die Schlagzeile folgendermaßen: F REUNDIN EINES BEKANNTEN A NWALTS UNTER M ORDANKLAGE . In dem Bericht standen zahlreiche Einzelheiten über Thirsts Vergangenheit, und er deutete an, daß ich nun gewiß nicht mehr Queen’s Counsel werden würde.
Abgesehen von der Auseinandersetzung mit der Presse mußten wir uns an jenem Tag mit vielen Formalitäten herumschlagen. George war längst nicht so aggressiv wie sonst bei Verdächtigen. Er hatte nichts gegen eine Kaution und machte nicht einmal den Versuch, Daisy ohne einen Solicitor zu verhören. Nachdem ihre Fingerabdrücke genommen worden waren, gingen wir mit dem Versprechen, am nächsten Tag mit einem Solicitor wiederzukommen, nach Hause. Den Nachmittag verbrachte ich damit, mich mit meinem alten Freund Roland Denson zu beraten, welchen der sechs Solicitors auf unserer Liste wir beauftragen sollten. Besonders lange unterhielten wir uns über Cyril Feinberg, den wohl rücksichtslosesten Vertreter dieses Berufsstandes in London. Ich hatte einen großen Teil meiner Karriere darauf verwendet, die ausgeklügelten Alibis auseinanderzunehmen, die er seine Mandanten so lange hatte lernen lassen, bis sie sie aufs Wort genau beherrschten. Er machte den Eindruck, als hasse er alles, was mit seinem Beruf zu tun hatte – die Polizei, seine Mandanten, die Barristers, die Richter, die anderen Solicitors. Roland Denson war felsenfest davon überzeugt, daß ich mich nicht für ihn entscheiden würde.
Ich sah zu Daisy hinüber. Wir saßen unten in meinem Arbeitszimmer. Sie verharrte in fast katatonischem Zustand und wartete darauf, daß die Männer über ihr Schicksal entschieden. Hier ging es um Männerregeln; Tochter, Ehefrau, Angeklagte, Mörderin – das waren Definitionen der Männer, Fallen der Männer.
Ich faßte einen Entschluß. »Wir nehmen Feinberg, Roland. Das ist der Richtige für uns.«
Nicht das letzte Mal im Fall Daisy Thirst runzelte Roland Denson die Stirn. Er wußte nur zu gut, daß ich ihn als Junior Counsel wollte.
Ich rüstete mich für den Anruf bei Feinberg, dessen Sekretärin fast genauso feindselig auf seine Mandanten reagierte wie er selbst.
»Mr. Feinberg ist sehr beschäftigt …«
»Sagen Sie ihm, James Knight möchte ihn sprechen.«
»Er ist leider im Moment in einer Besprechung …«
»Dann unterbrechen Sie die Besprechung und sagen Sie ihm, daß James Knight mit ihm reden will.
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