Eine private Affaere
geschickten Chirurgen, abgesehen von ein paar gut verheilten Narben, nichts mehr von diesen schrecklichen Verletzungen zu sehen?«
Mit meisterlichem Gespür für dramatische Effekte ließ Carlford sie mit hoch erhobenem Kinn an den Geschworenen vorbeiwatscheln, damit diese die feinen Narben unter dem Kieferknochen sehen konnten. Ich würde wetten, daß nicht ein einziger Geschworener diese alten Narben nicht als Drohung gegen das ungeborene Kind deutete.
»Mrs. Thirst, erzählen Sie dem Gericht doch bitte zum Schluß noch, was seine letzten Worte an Sie waren, an dem Tag, an dem Sie ihn für immer verlassen haben.«
»Er hat gesagt, er findet mich, und wenn er mich findet, bringt er mich um.«
Danach war ihr Alibi sozusagen nur noch eine Formsache. Carlford ging seine Fragen zu diesem Thema ziemlich schnell durch, als handle es sich dabei lediglich um ein augenzwinkerndes Zugeständnis an die Geschworenen – dies ist das Mittel, das wir euch zur Verfügung stellen, um sie freizulassen. Die Sprecherin der Geschworenen nickte pflichtbewußt, während Daisy Feinbergs Einfälle in die Tat umsetzte. Auch für Carlford war dies eine Meisterleistung. Es gab wahrscheinlich keinen einzigen Geschworenen, der sie für unschuldig hielt, aber auch keinen im Gerichtssaal, der nicht meinte, dieser Mord sei gerechtfertigt gewesen. Mit erstaunlichem Geschick hatte Carlford in der Phantasie der Geschworenen genau jene klaustrophobische, sadistische und unerträgliche Situation heraufbeschworen, in der so viele Menschen, besonders Frauen, einen Mord begehen könnten. Hinter Monksons Rücken und vor den Augen des hilflosen Richters hatte Carlford das englische Laster der Fairneß ausgespielt.
Er beendete seine Befragung mit der Waffe, einer offenbar ziemlich nebensächlichen Angelegenheit. Jemand hatte sie sorgfältig mit Klebeband umhüllt, so daß sich hinterher keine Fingerabdrücke mehr darauf finden würden. Sie sah der Waffe, die Daisy auf dem Foto in der Hand hielt, sehr ähnlich.
»Wahrscheinlich ist das die Pistole«, sagte Daisy ziemlich müde. »Ich bin immer mit seiner Waffe zum Schießplatz gegangen. Er hat sie in einer verschlossenen Schublade aufbewahrt, und ich habe immer den Schlüssel genommen, die Waffe verwendet und sie wieder zurückgelegt. Ich glaube nicht, daß er es gemerkt hat.«
»Und wieso haben Sie angefangen, Kampfsportarten zu trainieren und mit Kleinkaliberwaffen zu hantieren?«
»Ich wollte mich nicht mehr von ihm schlagen lassen. Niemals mehr.«
Carlford setzte sich. Und Monkson erhob sich, um in unsere letzte Falle zu tappen.
»Auch wenn das bedeutete, daß Sie ihn umbringen mußten, Mrs. Thirst?«
»Ich glaube, ich habe ein Recht, in Frieden zu leben, Mr. Monkson …«
Carlford und Monkson hielten ihre Schlußplädoyers vor den Geschworenen, und der Richter faßte den Fall zusammen. Trotz seiner zuvorkommenden Art hatte er uns durchschaut, das wußte ich, und seine letzten Worte an die Geschworenen ließen mir das Blut in den Adern gefrieren.
»In wenigen Augenblicken werden Sie sich zur Beratung zurückziehen. Dabei ist es Ihre Pflicht, aus Ihren Überlegungen jegliches Mitleid und jegliche natürliche Rücksicht, die man für eine Frau im Zustand der Angeklagten empfindet, zu verbannen.« Er beugte sich ein bißchen in Richtung der Geschworenen vor. »Und noch wichtiger: Sie dürfen sich nicht vom Mitleid für die Angeklagte leiten lassen, das Sie für sie haben, weil sie offenbar unter den Gewalttätigkeiten des Verstorbenen zu leiden hatte. Statt dessen müssen Sie die Fakten abwägen und entscheiden: Hat sie ihren Mann umgebracht oder nicht?«
[40]
Daisys Kaution war von Tag zu Tag erneuert worden, so daß sie jeden Abend mit mir nach Hause gehen konnte, doch das hatte nicht zu Intimitäten zwischen uns geführt. All unsere Energien, all unsere Gedanken flossen in die schrecklichen psychischen Anforderungen des Prozesses. Wir hatten nicht nur aufgehört, miteinander zu schlafen, nein, Daisy wich auch meinen Blicken aus. Kein Richter der Welt allerdings wird einen Angeklagten in einem Mordprozeß gegen Kaution gehen lassen, wenn die Geschworenen über das Urteil beraten. Deshalb brachten zwei Gefängnisbeamtinnen sie weg. Sie sah mich ziemlich lange an, bevor sie ging.
Ich fingerte an den Papieren in meiner Jackentasche herum. Fast hätte ich sie George Holmes sofort ausgehändigt, um der Sache ein Ende zu machen. Holmes beobachtete mich dabei, und aus den Augenwinkeln sah ich,
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