Eine Rose im Winter
zugeraunt hatte. Claudia öffnete schon die Lippen zum Widerspruch, aber er ging einfach davon und näherte sich entschlossen seinem Ziel.
Erienne war dem letzten Streicheln von Lord Talbot eben noch entkommen und ließ den alten Mann mit gerötetem Kopf und überhitzt in enttäuschter Wut schmoren. Sie war überglücklich, den ihr bestimmten Begleiter wieder zu sehen und ihre Tugend seinem Schutz anzuvertrauen. Sie begegneten sich im dichten Trubel der Gäste, und von jetzt an war Christopher darauf bedacht, daß zwischen ihnen und ihrem Gastgeber der größte Teil der Tanzfläche lag. Talbot stand inzwischen wie ein wütender Storch am Rande und verrenkte seinen Hals nach der, die ihn mied.
»Sie fallen auf«, ermahnte Erienne ihren Partner.
»Er nicht minder«, erwiderte Christopher, »und wenn er weiterhin so hartnäckig ist, kann er von Glück sagen, wenn ich ihm nicht mit einem Tritt Beine mache.«
»Warum sind Sie so versessen darauf, sich mit Lord Talbot anzulegen?«
»Sie wissen, warum ich den Mann nicht ausstehen kann.«
»Meinetwegen?« fragte sie ungläubig.
»Ich hasse es, die wenige Zeit, die ich mit Ihnen verbringen kann, mit ihm teilen zu müssen.«
»Aber nicht doch, Christopher!« In den veilchenblauen Augen glitzerte es spitzbübisch, und ihre Lippen hoben sich zu einem kaum merkbaren Lächeln, als sie ihn neckte. »Mir deucht, Euer Hochwohlgeboren tun dem Mann zu viel Ehre an.«
Mechanisch machte er seine Tanzschritte, während er tiefen Gedanken nachhing, die ihr verborgen blieben. Als seine Aufmerksamkeit sich ihr wieder zuwandte, nickte er und sagte zustimmend: »Ach ja, dieser Mann! Ihn klage ich an. Ich werfe ihm seinen Hochmut vor. Ich klage ihn an, weil er seine Macht rücksichtslos nutzt. Ich werfe ihm den Reichtum vor, in dem er schwimmt, während seine Pächter sich kaum über Wasser halten können. Jawohl, ich klage diesen Mann für dies alles an, und ich verfluche den Tag, an dem etwas aus meiner Obhut in seine Hände fallen sollte.«
Der zornige Ausdruck auf seinem Gesicht, der diesen Ausbruch begleitete, überraschte Erienne, Sie lehnte sich in seinem Arm zurück, um sein Gesicht besser sehen zu können. Nie hätte sie vermutet, daß dieser leichtsinnige und unbeständige Christopher Seton in seinem sonst so leichtfertigen Wesen eine so tiefernste Ader verborgen haben mochte.
Der dunkle Schatten verschwand so schnell wie eine Forelle, die im Bach springt, überraschend und unvermutet und genauso plötzlich war er wieder entglitten, ohne auch nur eine Spur des Auftauchens zurückzulassen. Wieder war er der lächelnde Liebhaber der Frauen, der gelassen und selbstsicher sie im Rhythmus der Musik über die Tanzfläche führte und jedes andere Paar plump und ungeschickt erscheinen ließ. So schwang er sie an Lord Talbot vorbei, doch bevor der Ehrenwerte auch nur eine Hand heben konnte, um sie aufzuhalten, hatten sie sich schon wieder unter den Tanzenden verloren. Nahe der am anderen Saalende befindlichen Tür hielt Christopher im Tanz ein, nahm Eriennes Arm und führte sie hinaus.
»Wie wäre es mit einer Erfrischung, meine Dame?« Ihr fragender Blick traf den seinen; er lächelte vergnügt. »Lord Talbot war wie vom Blitz getroffen. Ganz gewiß wird er die Musik unterbrechen und Sie suchen lassen.«
Sie näherten sich den üppig gedeckten Tischen, und er nahm einen Teller.
»Eine Kleinigkeit? Noch ein Stückchen, vielleicht?«
»Wirklich Christopher, ich bin nicht hungrig«, sagte Erienne, als er ihr den Teller in die Hand gab.
»Dann halten sie einfach den Teller, meine Liebe«, flüsterte er. »Ich werde Ihnen noch ein Glas holen, und wenn Nigel dann auftaucht, haben Sie einen guten Grund, einen Tanz abzuschlagen.«
Wie Christopher vorausgesagt hatte, verstummte im Ballsaal plötzlich die Musik, und sie hörten das Stimmengewirr der verblüfften Paare, als sich Talbot auf der Suche nach Erienne und ihrem Begleiter einen Weg durch ihre Mitte bahnte. Die Stimmen wurden lauter, als der Gastgeber mehrmals den Saal umkreiste, bis er schließlich im Nebenraum sein Opfer entdeckte.
Er stürzte auf sie zu und überließ seine Gäste sich selbst. Schließlich gab Claudia dem Orchester ein Zeichen weiterzuspielen. Talbot bemühte sich, seinen Ärger zu verbergen, als er sich seinem Ziel näherte. Erienne zitterte innerlich; aber sie folgte Christophers Vorschlag, der mit einem Glas Champagner zurückkehrte und es ihr reichte. Sie nippte an dem perlenden, bernsteinfarbenen
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