Eine Rose im Winter
Getränk und faßte in seiner Anwesenheit wieder Mut.
»Hier finde ich Sie endlich, mein liebes Kind«, wisperte Talbot, und sein Schnurrbart bebte in unterdrücktem Zorn. Er nahm eine großartige Pose an, als er vor ihnen stand. »Ich habe Sie überall gesucht. Sie werden gewiß so gnädig sein und mir noch einen Tanz gewähren.«
Erienne lachte, als sie ihm ihren Teller darbot. »Ihr Tisch bietet so viele Köstlichkeiten; ich fürchte, es wird mich mindestens eine Stunde kosten, bis ich allein das, was ich vor mir habe, aufessen kann. Und außerdem fühle ich mich vom Tanzen erschöpft.«
»In diesem Fall, meine Liebe …«, er nahm ihr den Teller ab und stellte ihn beiseite. Dann schob er sich zwischen das Paar und faßte Erienne am Arm. Seine Stimme klang beinahe schon siegessicher, als er fortfuhr: »Ich halte es für unbedingt notwendig, Sie in meinen Salon zu geleiten, da Ihnen nicht wohl ist. Dort können Sie sich ausruhen.«
»In Ihrem Salon?« fragte Christopher mit einem schmeichelnden Lächeln.
Talbot warf einen hochmütigen Blick der Überlegenheit auf Christopher, um sich diesen Einwurf zu verbitten. Er spreizte sein Bein in einem prächtigen Seidenstrumpf in Positur und streckte eine Hand nach hinten, um sich am Tisch festzuhalten. Sie landete jedoch mitten in Eriennes abgestelltem Teller. Als er die glitschige Feuchtigkeit des Kaviars zwischen seinen Fingern spürte, zog er nervös seine Hand zurück. Der Teller sprang erst nach oben und rutschte dann vom Tisch, nachdem er die Reste über seinen Ärmel verteilt hatte und auf dem Fußboden zerschellte, wo er seine weißen Schuhe mit schwarzem Fischrogen und Porzellansplittern dekorierte.
Er fuhr herum, und die steifen Rockschöße wischten über den Tisch und warfen eine Karaffe mit Wein um. Er hielt den Atem an, als das eiskalte Getränk durch seine Kniehosen sickerte und stand wie angewurzelt, bis die Kühle verflog. Langsam lief der Wein an seinen Beinen herunter und färbte Hosen und Strümpfe rötlich. Der Kaviar zeichnete seinen rechten Ärmel mit einem Muster, das sich immer mehr ausbreitete, und eine rote Pastete lag wie eine dressierte Schlange auf seiner Schulter.
Unterdrücktes Gelächter vernahm er, doch verstummte es sofort, als er sich mit einem strengen Blick umsah. Erienne nahm einen Schluck aus ihrem Glas und hüstelte dann leise hinter ihrem Taschentuch. Christophers Lächeln hatte sich nicht verändert, während andere Gäste den Augenblick nutzten, um mit plötzlichem Interesse die Deckengemälde oder die barocken Schnitzereien des Raumes zu bewundern.
Lord Talbot hatte die Hände zu Fäusten geballt, als er mit weiten Schritten aus dem Raum stolzierte und sich so der weiteren Betrachtung dieser gaffenden Dummköpfe entzog. Wenige Augenblicke später wisperte man sich im Ballsaal zu, wie der Herr des Hauses die Treppe zu seinen Räumen hinaufgestürmt sei, den Ball verfluchend, seine Tochter, den Koch, die Dienstboten, seinen Butler, der ihm ängstlich hinterherlief, und vor allem diesen verfluchten Yankee!
Die große Uhr in der Halle schlug die zwölfte Stunde, und die Zahl der Gäste schrumpfte erheblich zusammen. Claudia hatte keine Gelegenheit mehr gefunden, sich Christopher zu nähern, doch sie schien immer noch zuversichtlich, als sie sich zu ihrem Vater gesellte, um einem Ehepaar, das sich eben verabschiedete, Lebewohl zu sagen.
»Ich hoffe so sehr, daß Sie sich gut unterhalten haben.« Sie lächelte und nickte, als die beiden sich bedankten und schnitt dann hinter ihrem Rücken ein spöttisches Gesicht. »Margaret wird wirklich dick, meinst du nicht auch, Papa? Wir werden die Türen erweitern lassen müssen, wenn sie nicht aufhört zu essen.«
Talbot seufzte, als ihn die Erinnerung überfiel. Er konnte sich einer Zeit erinnern, als diese Dame seinen Berührungen sehr geneigt und an den richtigen Stellen wohlig rundlich war. »Sie war ein so hübsches kleines Ding, damals, als sie noch jünger war. Und immer bereit, mir jeden Wunsch von den Augen abzulesen, weit mehr als manche andere.«
»Das dürfte wohl ein paar Jahrzehnte her sein, Papa. Mittlerweile gehört ihr beide nicht mehr zu den jungen Vögeln, die im Frühling singen.«
Talbots Traum zerbarst wie eine Seifenblase. War es wirklich schon so lange her?
Er räusperte sich und zahlte ihr die Unverfrorenheit mit gleicher Münze zurück. »Ich bin sicher, dich hat der Abend enttäuscht. Diese hübsche kleine Erienne stahl dir sowohl die Ballnacht wie den
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