Eine Rose im Winter
und es ging ihr durch den Sinn, daß Lord Saxton eine zweite Decke mitgeschickt haben sollte, hätte er an die Kälte der Nacht gedacht. Ihre Besorgnis wuchs, als Christopher seinen Arm auf die Rücklehne legte. Er hielt ihrem wachsamen Blick stand, bis sie sich abwandte; dann bewunderte er gelassen den zarten rosigen Hauch auf der Pfirsichhaut ihrer Wrangen, die schmale gerade Nase und die schön geschwungenen Lippen, die zu einer ganz besonderen Berührung einzuladen schienen. Gefangen von ihrer bezaubernden Schönheit betrachtete er sie, wie man eine Rose im Morgentau anschauen würde.
Unter seinem steten Blick flatterten ihre schwarzen, schweren Wimpern vor Ungewissheit, und in diesem Augenblick wurde Erienne von einem Glücksgefühl durchströmt, das sie bislang in ihrer Welt wahrlich nicht kannte. Den ganzen Abend lang hatte er den Gentleman gespielt, und der Gedanke an seine Ritterlichkeit brannte wie ein Feuer im Herzen ihrer Zufriedenheit. Sanft und still umfing sie draußen die Nacht, und sie war sicher und behütet vor aller Welt. Keine Gefahr schien zu drohen.
Der Wagen holperte, und Christophers Hand fiel auf ihre Schulter. Sie sah ihn an, bemerkte jedoch nichts, was sie hätte einschüchtern können, außer einem leicht überraschten und nachdenklichem Stirnrunzeln auf seinem Gesicht. Die Wärme und Bequemlichkeit in ihrer Ecke machten sie schläfrig, und sie ließ den Kopf auf seinen Ellbogen sinken. Er ruhte dort so selbstverständlich wie ein Vogel, der sein Nest gefunden hat. Mit halb geschlossenen Augen sah sie, wie er den Docht der Lampe neben ihr herunterdrehte. Wie im Traum nahm sie wahr, wie die Flamme schwächer wurde, bis sie verlöschte.
Seine langen Finger kehrten zurück, um sich um ihr Kinn zu legen und langsam ihr Gesicht dem seinen zuzuwenden. Sein Schatten, den die andere Laterne warf, bedeckte sie, und dann lagen seine Lippen auf ihren, sie bewegten sich langsam und fachten Feuer in ihr an, von denen sie nie geahnt hatte. Ihre Hand kroch hinauf, um das Tuch über seinem Nacken zu streicheln, dann, als die Ahnung der Wirklichkeit sie überkam, preßte sie sich gegen seine Brust, um ihn von sich zu schieben. Als sie nach Atem rang, war er es, der sich abwandte und finster die andere Wand des Wagens anstarrte. Das Pochen ihres Herzens wollte nicht nachlassen, und sie bemühte sich, ihren Seelenzustand wie aus der Ferne zu betrachten. Wenn ihn nicht ihr entschlossener Wille zurückgehalten hätte, dann wäre er vielleicht vor ihren zitternden Händen nicht zurückgewichen. Es war zwar nur ein harmloser Kuß, der bestimmt kein großes Unglück auslösen konnte; aber sie wußte, das Eis war dünn und durfte nur sehr behutsam begangen werden, wollte sie sich nicht von den stürmischen Wogen fortreißen lassen, aus denen es keine Rettung mehr gab.
Erienne versuchte sich aufrecht hinzusetzen, doch ihre Schulter war noch immer in seinem Arm gefangen. Sein Griff wurde fester, und, ohne zu zögern, kam er wieder näher. Plötzlich lag sein Mund auf ihrem, verlangend, erregend, fordernd, daß sie Ja oder Nein erwiderte. Und doch, sie konnte nicht Ja sagen; sie war an einen anderen gebunden. Aber auch das Wort Nein konnte sie nicht über die Lippen bringen, denn das war der ersehnte Augenblick.
Ihre Antwort kam so leicht wie der Tau, der im Frühling fällt. Weder Ja noch Nein, doch ihr Herz rief in quälendem Verlangen, oh, mein Liebster, Verlass mich nie!
Christopher spürte ihre Zerrissenheit. Er fühlte sie in dem fast unmerklichen Druck ihrer Lippen unter seinen, in dem leichten hingebungsvollen Streicheln ihrer Hand auf seiner Brust. Er legte einen Arm um ihre Taille und zog sie näher an sich, als seine Küsse drängender wurden. Ihr Mantel fiel unbemerkt auf den Sitz.
Sie zitterte, als sich seine Lippen von ihrem Mund lösten und wie geschmolzenes Metall einen glutheißen Pfad über ihre Wange zu den Augenbrauen zogen und dort innehielten, um die zarten Lider zu liebkosen. Mit seinem Gesicht schob er die süß duftenden Locken zur Seite, und seine Zungenspitze berührte spielerisch ihr Ohr.
In seinen Lenden pulsierte das erregende Verlangen immer stärker. Bisher hatte er seine Karten mit Zurückhaltung ausgespielt, doch jetzt schien die Leidenschaft seiner Gefühle die Oberhand zu gewinnen. Sein wachsendes Begehren ließ ihn jede Scheu vergessen, als sich seine Hand um die volle Rundung ihres Busens legte.
Ein Aufschrei erstickte Erienne in der Kehle. Sie fuhr hoch und drückte
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