Eine Rose im Winter
herzureiten, so reizte sie doch die Aussicht auf einen Ausritt.
Ohne zu zögern legte sie das Reitkleid an. Sie hatte genug von ihrer Hosenrolle und wollte wenigstens mit dem notwendigen Respekt vor ihrem Geschlecht behandelt werden, falls sie wieder diesem listigen Schurken in die Arme laufen sollte. Sie erinnerte sich jedoch an ihr Zusammentreffen mit Timmy Sears und legte sich zwei Steinschloßpistolen bereit, falls es noch andere Kerle geben sollte, die ihr auflauerten.
Sie knotete eine Münze in das Hemd des Stalljungen und nahm die Kleider mit, als sie zum Stall ging. Sie verbarg alles unter ihrem dunkelgrauen Mantel, den sie umgelegt hatte, bis sie sicher war, sie ungesehen zurückbringen zu können. Als sie in den Stall kam, war Keats eben am Brunnen beim Wasserholen. Sie nahm die Gelegenheit wahr, um die Kleider unter einem Sattel zu verbergen, wo er sie finden mußte. In gespielter Unschuld bewunderte sie die Stute, als er zurückkam, und bat ihn freundlich, sie zu satteln.
»M'am, der Herr hat streng verboten, daß Sie ohne Begleitung ausreiten. So wie ich es sehe, wüsste ich nicht, was ich sagen sollte, wenn ich Sie so geh'n ließe. Möchten Sie gern, daß ich mit Ihnen reite?«
Erienne wollte eben zustimmen, als sie einen Reiter erblickte, der den Weg zum Haus herangeritten kam. Sie trat vor den Stall und beobachtete die Gestalt auf dem Pferd, bis sich herausstellte, daß es ein Verwandter war. Der Anblick von Farrell auf dem Pferd versetzte sie in freudige Stimmung. Er hatte es sich von selbstverdientem Geld gekauft. Am meisten freute sie jedoch, daß er wieder zu reiten wagte.
»Mein Bruder ist hier«, verkündete sie Keats. »Ich werde ihn fragen, ob er mich eine Weile begleitet.«
»Schon recht, M'am. Werde die Stute gleich fertig haben.«
Als Farrell sich dem Turm näherte, rief ihn Erienne und winkte zum Gruß, als er sich umsah. Er gab ein Zeichen und lenkte sein Tier auf den Weg, der zu ihr führte.
»Guten Abend«, begrüßte sie ihn gutgelaunt. »Ich brauche einen Begleiter, und da Lord Saxton nicht zu Hause ist, habe ich mich gefragt, ob ich wohl deine Güte in Anspruch nehmen könnte, mit mir einen kleinen Ausritt zu unternehmen?«
»Lord Saxton ist nicht da?« erkundigte er sich, und seine Stimme verriet große Enttäuschung. Er hatte gehofft, daß sie wieder gemeinsam schießen könnten, und hatte seine bescheidene Sammlung von Feuerwaffen zum Üben mitgebracht.
Erienne mußte lachen, als sie an seinem Sattel die lange Muskete und die drei Pistolen entdeckte. »Ich weiß, daß ich nur deine Schwester bin und darum sicher ein schlechter Ersatz für den, den du hier eigentlich sehen wolltest.«
Farrell nickte kurz mit dem Kopf in Richtung des Weges und lachte vergnügt. »Also, dann komm. Das ist das mindeste, was ich für meine Schwester tun kann.«
Sie nahm die Hand ihres Bruders, der ihr beim Aufsitzen auf die Stute half, und brachte dann ihre Röcke und den Mantel in Ordnung, bevor sie ihm zunickte. Er ritt eine Weile voraus und bestimmte den Weg, ließ sie dann aufrücken und lachte zu ihr zurück.
»Du bist deiner wieder ziemlich sicher, nicht wahr?« fragte sie lachend. Sie war stolz auf das, was er erreicht hatte, und wußte auch, daß sie Stuart zu danken hatte, der ihrem Bruder wieder Lebensmut eingeflößt hatte.
»Lust zu einem kleinen Rennen?« versuchte er sie mit einem Rest seiner früheren Lebensfreude anzustacheln.
Erienne sah sich um. Sie wußte, daß sie sich auf der nach Süden führenden Straße befanden. Die Strahlen der untergehenden Sonne waren der hereinbrechenden Nacht gewichen. Nach den Erfahrungen der vergangenen Nacht wagte sie nicht mehr, sich ohne Schutz so weit vom Haus zu entfernen. Es war bekannt, daß die Wegelagerer die Wehrlosen ohne Gnade angriffen, und sie wollte nicht, ganz gleich welcher Form von Gewalt zum Opfer fallen.
»Wir sollten lieber zurückreiten«, erwiderte sie. »Ich hatte vergessen, daß es schon so spät ist.«
»Lass uns noch zu der Hügelkuppe um die Wette reiten«, bat ihr Bruder eindringlich. »Dann kehren wir um.«
Erienne stieß der Stute ihre Fersen in die Seite, und ihr Lachen klang über die Schulter, als das Pferd dahinflog. Farrell stieß einen Kriegsruf aus, als er ihr nachsetzte. Ihre gelöste Heiterkeit verschmolz mit den donnernden Hufen und dem Wind, der an ihren Ohren vorbeipfiff, zu einer Melodie. Sie gab sich mit ganzer Seele dem Rennen hin und spornte Morgana mit leichten Schlägen ihrer Reitgerte
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