Eine Rose im Winter
durchsuchten.
»Erienne, hörst du mich?« fragte Farrell wispernd.
»Ja.«
»Wenn es uns gelingt, die Diebe zu vertreiben, werde ich hinunterreiten und das Mädchen holen. Du bleibst hier und hältst sie uns vom Leibe, bis ich sie befreit habe. Dann reitest du, was du kannst, von hier weg. Verstehst du?«
»Mach dir nur keine Sorgen«, versicherte sie ihm zuversichtlich. »Genau das beabsichtige ich nämlich, zu reiten, als ob der Teufel hinter mir her wäre. Hast du dein Messer, um sie zu befreien?«
»Jawohl, und halt dich diesmal wacker.« Farrells Stimme war kaum zu hören, doch sie verstand den lachenden Unterton.
Erienne biss ihre Zähne zusammen, damit sie nicht aufeinander schlugen und prüfte sorgfältig ihre Waffen. Sie war ihrem Bruder dankbar, daß er alles zum Nachladen mitgebracht hatte. Mit seinen Waffen konnte er jetzt einen Angriff wagen, der zur Befreiung des Mädchens führen mochte. Sein Plan war, sich auf die Kutsche zuzubewegen und den Anschein zu erwecken, als ob sie mehr als zwei seien. Durch ihre Röcke behindert, mußte sie auf ihrem Platz bleiben. Was sie an Waffen aufzuweisen hatten, war im Vergleich zur Ausrüstung der Diebe tatsächlich spärlich, doch mit etwas Glück konnte es ihnen gelingen, die Mordbande in die Flucht zu schlagen und selber zu dritt unverletzt zu entkommen.
Farrell bewegte sich langsam voran, um vorläufig hinter einem Baum Position zu beziehen, und Erienne wartete, daß er mit einem Schuß aus seiner Pistole das Signal gäbe. Sie war so aufgeregt, daß sie Zweifel hatte, ob sie trotz des gründlichen Unterrichts bei ihrem Mann überhaupt etwas treffen würde. Das Furchtbare, was sie während der letzten Augenblicke gesehen hatte, gab ihr eine Vorstellung, womit sich Christopher auf seinen nächtlichen Ritten auseinanderzusetzen hatte. Obwohl er nicht zugegeben hatte, der gefürchtete Geisterreiter zu sein, waren die Beweise doch eindeutig, und sie schwor sich, in Zukunft mehr Verständnis für seine Aktionen zu zeigen.
Der Signalschuß ihres Bruders hallte durch das Tal, und Eriennes Finger umspannten die Pistole, während sie ihr Ziel suchte. Sie hatte ein widerliches Gefühl im Magen, als sie plötzlich neben der Laterne zwei Gestalten in sich zusammensinken sah. Von einem der Diebe erscholl ein Schrei, und sie rannten aus dem Licht. Aber nicht schnell genug. Erienne verhielt nicht lange, um über ihr Tun nachzudenken; sie wußte, daß das Leben des Mädchens davon abhing, wie schnell sie die andere Pistole abschießen konnte. Sie versuchte dieses Mai beim Knall nicht wegzuzucken, doch das war auch schon alles, was sie tun konnte, um die Waffe festzuhalten. Als sie noch einen Mann fallen sah, war sie so überrascht, daß sie sich fast umgedreht hätte, um zu sehen, ob Farrell zur gleichen Zeit gefeuert hatte. Dann hörte sie an ihrer anderen Seite seine raschelnden Bewegungen und wußte, daß er sich gerade wieder bereit machte. Sie fuhr mit der Zunge über ihre trockenen Lippen und begann aufs neue zu laden. Sie zitterte genauso sehr, wie sie bangte, und mußte sich zur Ruhe zwingen, um ihre Aufgabe zu erfüllen. Das betäubende Krachen von Farrells Muskete durchschnitt die Luft, und der darauf folgende Schrei schickte einen kalten Schauder durch ihre Adern. Sie versuchte erneut ein Ziel zu finden, doch die Diebe schienen im schwachen Licht verschwunden zu sein. Sie versuchte angestrengt, etwas zu erkennen, bis sie unterhalb des Vorsprungs eine schwache Bewegung wahrzunehmen glaubte. Ihr Blick bohrte sich in die Dunkelheit, als sich aus ihr der Schatten eines Mannes zu lösen begann, der zu ihr emporkletterte. Sie stand langsam auf, umklammerte den Kolben der Steinschloßpistole mit beiden Händen und beobachtete den sich nahenden Körper. Der Kerl hob den Kopf, um sich umzusehen, und dieses Mal preßte sie die Augen fest zu, als sie den Hahn zurückzog. Wieder erscholl ein ohrenbetäubender Knall, trotz dessen sie gut hören konnte, wie sein Körper die Böschung herunterrollte und aufschlug. Sie verbannte diese blutige Erfahrung aus ihren Gedanken, als sie sah, wie Farrell zu seinem Pferd kletterte.
Erienne lud in Windeseile neu und wartete dann in der lähmenden Stille, während ihre Augen jeden Schatten nach Zeichen für einen versprengten Banditen absuchten. Sie hörte, wie der Wallach hinter ihr durch das Unterholz brach, und kurz darauf kam Farrell in ihr Blickfeld. Er sprengte aus dem Dunkeln in mörderischem Tempo zu der Kutsche, sprang in der
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