Eine Rose im Winter
mattblaues Kleid, das sich durch einen Stehkragen auszeichnete, und flocht sich Bänder ins Haar. So bot sie ihrem Mann ein sehr anmutiges Bild, als sie scheu durch die große Halle kam. Er wartete neben seinem Stuhl am Kamin, und Erienne deutete seinen starren Blick als schlechtes Zeichen. Sie schenkte ihm ein leichtes, unsicheres Lächeln, als sie auf den Stuhl dem seinen gegenüber schlüpfte. Sie war unfähig, ihm in die Augen zu sehen, darum starrte sie in das wärmende Kaminfeuer.
Falls sie erregte Sticheleien erwartet hatte, enttäuschte er sie. Sie blieben aus. Abwartendes Schweigen hing im Raum. Da sie wußte, daß sie dem, was kommen würde, nicht entgehen konnte, entschloß sie sich fest zum Gegenangriff. Sie holte tief Atem, hob ihren Blick zu ihm, und war bereit, ihm mutig und frei jede Frage zu beantworten, die er ihr stellen mochte.
»Guten Morgen, meine Liebe«, die heisere Stimme klang beinahe fröhlich. »Ich muß mich entschuldigen, daß ich Sie gestern nacht so plötzlich verlassen habe.«
Erienne war verwundert. Sie konnte für seine gute Stimmung keine Erklärung finden. Ganz sicher hatte er gehört, wie sie den Namen seines Cousins flüsterte, und es konnte ihm nicht entgangen sein, wie sie – wenngleich unbewußt – sich nach einem anderen Mann sehnte, während er ihr seine Liebe schenkte.
»Ich habe mir gedacht, daß Ihnen heute ein Ausflug nach Carlisle Vergnügen bereiten würde. Sind Sie damit einverstanden?«
»Aber gewiß, Mylord.«
»Gut. Dann werden wir uns nach dem Frühstück auf den Weg machen.«
»Muß ich mich dafür umziehen?« fragte sie zögernd.
»Gewiß nicht, Madam. So wie Sie sind, sind Sie sehr hübsch. Ein seltener Edelstein, an dem sich meine Augen erfreuen können. Ich möchte Sie dort mit jemandem bekannt machen, doch darüber können wir uns noch unterwegs unterhalten. Es ist an der Zeit, Madam, daß ich einiges in Ordnung bringe.«
Erienne fühlte sich beunruhigt; sie fürchtete, daß diese Bemerkung Schlimmes ankündigte, also die Sache noch nicht abgetan war.
Lord Saxton wandte sich halb zum Tisch, wo man für Erienne gedeckt hatte. »Kommen Sie, Erienne. Sie müssen halb verhungert sein.«
Fast wollte sie ablehnen, doch dann brachte sie sich noch rechtzeitig zum Schweigen. Der Gedanke, Stuart gegenübertreten zu müssen, hatte ihr den Appetit verschlagen, es bestand allerdings kein Grund, dadurch die anstehende Auseinandersetzung herbeizuführen. Außerdem würden ein paar Happen ihrem Magen gut tun.
Der Koch hatte sich große Mühe gegeben, und Erienne konnte die verführerische Auswahl an Speisen, die man ihr vorgesetzt hatte, nicht für ihren Missmut verantwortlich machen. Trotzdem konnte sie nicht mehr als ein, zwei Bissen zu sich nehmen. Als Paine erschien, um dem Herrn zu sagen, daß Bundy ihn in seinem Arbeitszimmer sprechen wollte, nahm sie das erleichtert zum Anlass, ihren Teller zur Seite zu schieben. Sie kehrte zum Kamin zurück und nippte langsam an ihrem Tee, während sie auf ihren Mann wartete.
Der Gong der Uhr hatte eine Viertelstunde angezeigt, als Lord Saxton zur großen Halle zurückkehrte. Er blieb an ihrem Stuhl stehen, um sich zu entschuldigen.
»Es tut mir leid, Madam, doch ich muß unseren Besuch in Carlisle verschieben. Man hat mir eben eine sehr dringende Angelegenheit zur Kenntnis gebracht, der ich sofort nachgehen muß, sosehr es mich auch betrübt, Sie allein lassen zu müssen. Ich weiß noch nicht genau, wann ich zurück sein werde.«
Erienne dachte nicht weiter über die glückliche Fügung nach, die sie vor der erwarteten Auseinandersetzung bewahrt hatte. Sie trank weiter ihren Tee und spürte, wie ihre Spannung nachließ. Der Landauer fuhr vor. Sie hörte, wie er rumpelnd davonrollte, und saß in der folgenden Stille wie jemand, der vor der Fahrt zur Hölle noch einmal begnadigt worden war.
Als sie sich entspannte, wurde sie allmählich müde. Es fiel ihr auf, daß sie in der letzten Nacht nur sehr wenig geschlafen hatte, und sie ging die Stufen zu ihrem Zimmer hinauf. Sie streifte ihr Kleid ab, kuschelte sich unter ihre Bettdecke und schlief sogleich ein.
***
Als Erienne erwachte, begannen sich im Westen die ersten rosa Streifen am Himmel zu zeigen. Sie fühlte sich wunderbar frisch und voller Tatendrang, der nach mehr verlangte, als nur nach den Aufgaben, die ihr als Herrin des Hauses zufielen. Sie mußte an ihre Stute Morgana denken, und wenn sie auch nicht die Dummheit wiederholen wollte, hinter Christopher
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