Eine Rose im Winter
Mylord.«
»Dann verlasse ich Sie und bin sicher, daß Sie sich um ihn kümmern.«
Entschlossen schritt Lord Talbot auf das kleine Haus des Bürgermeisters zu und pochte mit dem silbernen Knauf seines verzierten Spazierstocks an die Tür. Sein Klopfen fand zunächst kein Gehör, und er begann sich schon zu wundern, was der Grund sein mochte, als die Tür einen Spalt weit aufging. Erienne spähte hindurch, und dieser Besuch hätte ihr vielleicht eher behagt, daß es nämlich nicht Silas Chambers war, wenn seine Lordschaft ihr angenehmer gewesen wäre. Dem war aber nicht so.
Mit dem Stock schob Lord Talbot die Tür zurück und zwang damit Erienne zurückzutreten.
»Sieh mich nicht durch die Ritzen an, Erienne.« Er lächelte anerkennend, als sein Blick über sie schweifte. »Ich möchte die Menschen, mit denen ich spreche, auch ansehen. Ist Ihr Vater daheim?«
Verwirrt und plötzlich nervös deutete Erienne einen flüchtigen Knicks an und erwiderte schnell: »O nein, Sir. Er hat irgendwo im Dorf zu tun. Ich bin zwar nicht sicher, doch ich glaube, er kann jeden Augenblick kommen.«
»Nun, dann werde ich drinnen beim Feuer warten, wenn Sie erlauben. Es ist ein grässlicher Tag.«
Lord Talbot eilte an ihr vorbei und hielt nur inne, um seinen Mantel und den Dreispitz abzulegen und ihr beides zu reichen, ehe er in die Wohnstube trat. Er ließ Erienne in ihrer Verdrossenheit zurück, die Tür zu schließen und die feuchten Kleidungsstücke aufzuhängen. Als sie ins Zimmer kam, fand sie ihn bereits in einem hohen Lehnstuhl dicht vor dem Kamin. Er hatte ein Bein übergeschlagen, und wo der lange Überrock sich auftat, zeigte er ein starkes langes Bein in feinen grauen Seidenkniehosen und Strümpfen. Wärme trat in seine Augen, als er sie sah, und er schenkte ihr ein Lächeln, von dem er hoffte, daß es sehr väterlich sei.
»Meine liebe Erienne, Sie haben ihre Aufgabe hervorragend bewältigt, wenn ich sehe, wie Sie dieses Haus führen, seit Ihre Mutter hinweggerafft wurde. Ich bin sicher, Sie sind hier glücklich gewesen. Ihr Vater scheint mit seinen Pflichten gut fertig zu werden. Ja, da fällt mir ein, erst neulich …«
Er fuhr mit seinem Geschwätz fort und sah dem Mädchen zu, wie es sich durch den Raum bewegte. Er plauderte ohne Unterbrechung oder Zögern drauflos; eher suchte er, ihre Spannung zu mildern, denn sie schien ihm in seiner Gegenwart recht unruhig zu sein. Schließlich war sie ein äußerst begehrenswertes Mädchen, und er fand es erstaunlich, daß ein Mann wie Avery Fleming ein solches Geschöpf hatte zeugen können.
Erienne hörte mit halbem Ohr hin, als seine Stimme eintönig dahinleierte. Sie war sich des Rufs von Nigel Talbot wohl bewußt. Seine Heldentaten waren beliebte Scherze in allen Klatschgeschichten. Sie kannte sie schon, seit die Flemings nach Mawbry gezogen waren. Daher achtete sie darauf, oft an den Fenstern vorn im Haus vorbeizugehen, so daß irgendein Beobachter (und sie wußte, es gab immer einige) sehen und bezeugen konnte, daß sie sich mit niemandem einließ.
»Ich mache Tee, während wir warten«, schlug sie zögernd vor. Sie stocherte im Feuer, legte ein frisches Stück Torf auf und hängte den Wasserkessel an einen Haken darüber.
Nigel Talbot betrachtete Erienne mit wachsender Leidenschaft. Ein paar Wochen waren seit seinem Aufenthalt in London vergangen, wo er in manch reich ausgestatteter Wohnung von einigen liebestollen und kostbar gekleideten Freundinnen sehr freundlich aufgenommen worden war. Es war tatsächlich erstaunlich, daß er eine so seltene edle Frucht in seinem eigenen Obstgarten übersehen hatte. Wenn er jedoch Eriennes stille damenhafte Gelassenheit bedachte, war es leicht zu verstehen, warum er sie bislang wirklich nicht bemerkt hatte. Die Dreisten zogen sofort eines Mannes Aufmerksamkeit auf sich; doch war es nicht immer der Fall, daß sie dann auch die Erlesenen waren. Erienne Fleming war jedenfalls von allerbester Qualität und zweifellos unverdorben.
In seinem Kopf formte sich ein Bild von ihr in Unterröcken und Korsett, das den Busen freiließ und die Taille so schmal, daß die Hände eines Mannes sie umfangen konnten. Er stellte sich vor, wie ihr schwarzes Haar locker über ihre weißen weichen Schultern floß, und seine Augen weiteten sich, als er all diese Möglichkeiten vor sich sah. Gewiß, dieses Ansinnen war äußerst delikat und mußte behutsam angegangen werden. Er hatte nicht die Absicht, ihr die Ehe anzubieten; aber Avery wäre
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