Eine Rose im Winter
sicherlich nicht so närrisch, eine ansehnliche Summe für sie abzulehnen. Lord Talbot erhob sich und nahm seine beste heldische Pose ein, die linke Hand auf dem wie zufällig aufgenommenen Stock, die rechte griff in den Aufschlag seines Brokatrocks, damit sie seine männliche Figur bewundern konnte. Ein erfahreneres Mädchen hätte wohl voll offener Bewunderung das angestarrt, was er nur zu bereitwillig zur Schau stellte, anstatt sich weiter mit unwichtigen Dingen zu beschäftigen.
»Meine liebe, liebe Erienne …«
Dank seiner erwachten Leidenschaft wurde seine Stimme kräftiger, als er beabsichtigt hatte, und Überraschung und die Lautstärke seiner Worte ließen Erienne zusammenfahren, so daß Tassen und Teller, die sie auf die Anrichte stellen wollte, in ihren Händen klirrten, ja, sogar beinahe zu Boden fielen. Nervös setzte sie sie ab, verkrampfte ihre zitternden Hände ineinander und sah ihn an.
Nigel Talbot war ein erfahrener Mann und hatte die ungestümen Jahre der Jugend hinter sich. Er hielt sich zurück und begann erneut, diesmal mit mehr Wärme. »Verzeihen Sie, Erienne. Ich wollte Sie nicht erschrecken. Es überkam mich plötzlich der Gedanke, daß ich Sie noch nie richtig angesehen habe.« Während er sprach, verringerte er den Abstand zu ihr. »Nie sah ich wirklich, wie schön Sie eigentlich sind.«
Er legte eine lange, schmale, gut gepflegte Hand auf ihren Unterarm, und Erienne sah keinen Fluchtweg, da die Anrichte hinter ihr stand.
»Aber, meine Liebe, Sie zittern ja.« Er sah in die großen verängstigten Augen und lächelte zärtlich. »Arme Erienne. Haben Sie keine Angst, meine Liebe. Um nichts in der Welt würde ich Ihnen etwas Böses antun. Ganz im Gegenteil, es ist mein Herzenswunsch, daß wir einander viel … viel … besser kennenlernen.« Zur freundlichen Bestätigung drückte er leicht ihren Arm.
Plötzlich wurde er durch einen lauten Fluch aus dem oberen Stockwerk unterbrochen, und auf der Treppe war unsicheres Poltern und Getöse zu hören. Lord Talbot fuhr zurück und ließ Erienne in angemessener Entfernung stehen. In diesem Augenblick kam Farrell durch die offene Tür gestolpert. Er fiel beinah auf die Knie, nur mit Mühe gelang es ihm, sich aufrecht zu halten. Dabei rollte er unbeherrscht mit seinen Augen. Es war ihm gelungen, ein Hemd anzuziehen, das jetzt offen über der Hose hing. Die Hosen hingen herunter – fast bis zum Punkt der Peinlichkeit, und seine Zehen hoben sich gekrümmt von den kalten Bohlen des Fußbodens. Als er es endlich fertig brachte, beide Augen in eine Richtung zu lenken und er sein Gegenüber im Wohnzimmer sah, fiel ihm der Kinnladen herunter, so überrascht war er.
»Lord! Lord Talbot!« Mit der gesunden Hand rieb er seine Schläfe, als müsse er ein Pochen besänftigen, und fuhr sich mit den Fingern durch seinen ungekämmten Schopf. »Eure Lordschaft …« Das ›ft‹ kam etwas mühsam. Er murmelte etwas wie eine Bitte um Verzeihung und fing an, sich mit den Knöpfen an seiner Hose zu beschäftigen, »ich wußte nicht, daß Sie hier sind …«
Lord Talbot bemühte sich, als verständnisvoller Gast zu erscheinen. Nur ein leichtes Beben seines Schnurrbarts gab seine wahren Gefühle preis, »ich hoffe, es geht Ihnen gut, Farrell.«
Der junge Mann leckte seine Lippen, als verbrenne eine stete Trockenheit seinen Mund, und er griff hastig nach seinem Hemd, denn er hatte Eriennes Blick verstanden. »Ich kam nur herunter, um einen Schluck …« Er räusperte sich, als ihre Augen schmal und drohend wurden und fügte hinzu: »… Wasser …« Er bemerkte den dampfenden Kessel über dem Feuer und fuhr fort: »Oder vielleicht etwas Tee.«
Er gewann einen gewissen Grad seiner Beherrschung zurück und erkannte seine Pflichten als Gastgeber. »Erienne«, seine Stimme nahm einen gebieterischen Ton an, »würdest du so freundlich sein und uns etwas Tee eingießen? Ich bin sicher, Lord Talbot kommt um vor Durst.« Sein eigenes mühsames Schlucken fügte der Behauptung eine unausgesprochene Bekräftigung hinzu. Er begann sich zu räuspern, doch ein trockener Husten übermannte ihn. »Ein Mann braucht ein gutes warmes Getränk, um an einem kalten Morgen seine Gurgel zu schmieren.«
Diesmal war seine Schwester für die Anwesenheit ihres Bruders sogar dankbar. »Farrell«, sagte Erienne und lächelte freundlich, als sie seinen Anordnungen folgte, »es ist schon eine Weile nach Mittag.«
Lord Talbot schäumte vor Ärger über Farrell, aber er konnte den
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