Eine Rose im Winter
undohne Erlaubnis betrat niemand Eriennes Räume. Mancher wunderte sich über die Abgeschiedenheit des Herrn und seiner Gemahlin. Doch trotz der vielen Vermutungen kam niemand der Wahrheit auch nur nahe. Als Lord Saxton mit der Herrin an seiner Seite wieder in die raue Wirklichkeit um sie herum zurückkehrte, zerstreuten sich ihre Bedenken. Trotzdem wollten einige bemerkt haben, daß irgend etwas sich im Verhalten der Herrin leicht verändert hatte. Sie sahen den Grund für ihre strahlende Lebensfreude in der Genesung ihres Mannes und bewunderten wie zuvor ihre Hingabe an den furchterregenden Mann. Diese Haltung wurde deutlich in der Art, wie sie ohne Zögern seine angebotene Hand oder den Arm nahm, in dem flinken süßen Lächeln, wenn sie in das Antlitz der Maske blickte, und in ihrer Bereitschaft, ihm nah zu sein oder ihn zu berühren.
Diese Lady Erienne war die Allerschönste, und jeder wurde von ihrem fröhlichen Lachen und ihrer stetigen Bereitschaft zu einem Scherzwort angesteckt. Wenn sie da war, schien die Sonne heller und der Tag wurde wärmer. Die Dienstboten stürzten sich mit Feuereifer in den Frühjahrshausputz, um ihren Beifall zu finden, in den großen Steinmauern wurde es wieder lebendig, es wehte ein frischer, neuer Wind, und Saxton Hall war auf einmal keineswegs mehr nur ein dunkler, grauer Herrensitz.
Der Frühling zog über das Land wie die sich kräuselnden Wellen auf einem See. Die Pächter brachten die Pflüge auf die Felder, sie striegelten die Pferde, ließen sie neu beschlagen und bereiteten sich auf die Aussaat vor. Das glückliche Paar schlenderte durch Ländereien, die um das Haus lagen. Das langsame Tempo des Hinkenden gab der Schnelleren von beiden genügend Zeit, die Wunder des Frühlings zu betrachten. In den Pferchen blökten neugeborene Lämmer, und in der Nähe des Stalles stakste ein Fohlen mit wackligen Beinen hinter der Mutter her. Langhalsige Gänseeltern führten ihre flaumigen Kleinen zum Teich. Sie reckten ihre Hälse und zischten warnend, als das Paar vorbeiging. Eriennes entzücktes Lachen ließ sie innehalten, sie schüttelten die Köpfe ob dieser ungewohnten Laute und fuhren fort, ihre Brut zu zählen, während der Lord und seine Lady weitergingen.
Der Weg schlängelte sich hinter dem Haus hinunter durch das weite Land und die Bäume. Sobald sie im Schatten waren und von oben nicht mehr gesehen werden konnten, richtete sich Lord Saxton auf und lief schneller, als sie Hand in Hand durch das Halbdunkel eilten. Beim Erreichen des versteckten Hauses nahm der schwarzgekleidete Mann die schlanke Gestalt in die Arme und schritt mit ihr über die Schwelle. Hätte ein Spion die beiden beobachtet, so hätte er fast eine Stunde warten müssen, bis die beiden wieder auftauchten. Darüber, was in der Hütte geschah, hätte der Spion nur Vermutungen anstellen können, denn als sie wieder herauskamen, waren es Christopher Seton und Erienne Saxton.
Diese beiden Verliebten tanzten auf die Lichtung hinaus. Er schwenkte sie im Walzertakt zu einem Duett, das manchmal falsch klang und manchmal von ihrem Kichern und Gelächter unterbrochen wurde, da sie ihre eigene Musik machten. Erienne fiel atemlos auf einen sonnenüberstrahlten kleinen Hügel aus tiefem, weichem Moos. Sie lachte vor lauter Lebensfreude und breitete ihre Arme aus. Auf dem dunkelgrünen Rasen wirkte sie wie eine schöne gelbe Blume und für den Anblick ihres Mannes wie eine zerbrechliche Blüte. Mit wonnetrunkenem Blick sah sie in die Baumkronen, wo die sich wiegenden Äste, geziert vom ersten frischen Grün des Frühlings, die Wölbungen der Zephyrwölkchen streichelten, die flockig weiß wie ausgelassene Lämmer auf einer blauen Flur umhersprangen. Kleine Vögel zwitscherten ihre Hochzeitslieder, während die erwachseneren unter ihnen zielstrebig ihre Nester bauten. Ein flinkes Eichhörnchen sprang über die Lichtung, gefolgt von einem größeren, das die plötzliche Schüchternheit seines vorausgeeilten Partners stutzig machte.
Christopher trat zu Erienne, sank auf dem dicken, weichen Teppich auf die Knie, stützte seine Hände rechts und links von ihr auf, ließ sich heruntergleiten, bis seine Brust ihren Busen berührte. Lange Minuten küßte er diese roten Lippen, die sich den seinen öffneten und sie mit einer Begierde willkommen hießen, die nichts mehr von der spröden Jungfrau von einst zeigten. Dann hob er ihren Arm und streckte sich neben ihr aus. Er hielt ihre Hand in der seinen und sprach mit ihr über
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