Eine Rose im Winter
ihren verdammten Hochmut.« Er wies ärgerlich auf den Turm, der vor ihnen aufragte. »Hat das alles, und hat immer noch nicht angebot'n, ein bißchen davon ihrem armen Vater abzugeben. So ein großartiger und riesiger Bau, ein Jammer, daß sie so viel und wir so wenig haben. Und ohne mich wär'n die beiden heute überhaupt nicht zusammen.«
Farrell sah seinen Erzeuger ungläubig an, doch der Bürgermeister konnte es sich gar nicht vorstellen, daß jemand Fehler an ihm finden könnte. Avery setzte seine Koffer achtlos neben das Eingangstor, zog die Weste über seinen Hängebauch, griff nach vorn und schlug den schweren Klopfer gegen die Tür.
Paine eilte herbei und führte die Besucher in die Eingangshalle, wobei er Farrell aufmerksam mit seinem vielen Gepäck half. Vom Vater erntete er dafür einen finsteren Blick. »Der Herr hat sich die letzten Wochen nicht sehr wohl gefühlt«, verkündete der Diener. »Er befindet sich zur Zeit in seinem Zimmer und nimmt mit der Herrin die Abendmahlzeit ein. Würde es Ihnen etwas ausmachen, im Saal auf sie zu warten?«
Avery warf dem Mann ein scheeles Auge zu und versuchte, seine Stimme nicht zu hoffnungsvoll klingen zu lassen. »Sie sagen, Seine Lordschaft ist krank? Was Schlimmes?«
»Ich vermute, für eine Zeitlang war es schlimm genug, Sir. Die Herrin ist kaum von seiner Seite gewichen, aber jetzt bessert sich der Zustand des Herrn zusehends.« Paine griff nach den Waffen von Farrell. »Ich nehme die zusammen mit Ihrer Tasche mit nach oben, Sir.« Er sah Avery an. »Werden Sie auch bleiben?«
Avery stieß leicht an die Seite seiner Koffer und räusperte sich. »Jawohl, ich dachte, daß ich während der Zeit, die Farrell hier ist, meine Tochter besuche.«
»Sehr wohl, Sir. Ich werde das Gepäck holen, sobald man ein Zimmer für Sie gerichtet hat.«
Paine stieg mit seiner Last die Treppen hinauf. Als er außer Sicht war, schnaubte Avery verächtlich: »Was für'n einfältiges Mädchen! Würde der Lord ins Gras beißen, wäre sie 'ne reiche Witwe, wo er doch keine Nachkommen hat.«
Farrell blieb stumm, doch seine Augen bekamen einen leicht gereizten Ausdruck, und sein Mund wurde vor Ärger schmal. Langsam begann er zu verstehen, warum sich Eriennes Verhältnis zu ihrem Vater abgekühlt hatte, und er fragte sich, ob dieser Besuch für ihn sehr vergnüglich werden würde. In letzter Zeit hatte er immer weniger Zeit zu Hause verbracht. Er zog es vor, in York Miß Becker und ihre Mutter zu besuchen, anstatt sich von morgens bis in die späte Nacht die Klagelieder anzuhören.
Erienne eilte die Treppe hinab, während sie sich über das Haar strich und ihren Kragen zurechtrückte. Sie verweilte kurz am Durchgang zu dem großen Raum, als sie entdeckte, daß sie ihr Mieder in der Eile nicht richtig zugemacht hatte, verharrte einen Augenblick und richtete alles. Ihre Wangen waren gerötet, denn sie war auf den Besuch nicht besonders gut eingerichtet. Aggie hatte zu einer höchst unpassenden Zeit an die Zimmertür des Herrn geklopft. Man hatte die Abendmahlzeit auf dem kleinen Tisch kalt werden lassen, während sich beide an Christophers amouröser Vorspeise erwärmten. Die unpassende Unterbrechung und die Ankündigung, daß der Bürgermeister zu Besuch gekommen war, hatte wie ein kaltes Bad auf sie gewirkt, und sie hatten sich in verärgerter Hast trennen müssen.
Es gelang Erienne, hoheitsvolle Gelassenheit an den Tag zu legen, als sie durch den Saal schritt und ihre Verwandten begrüßte. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und drückte ihrem Bruder einen flüchtigen Kuß auf die Wange, bevor sie sich umdrehte und ihrem Vater ein Lächeln zuwarf.
»Vater, es ist einige Zeit vergangen, seit Sie das letzte Mal bei uns waren«, stellte sie freundlich fest. »Werden Sie diesmal etwas Zeit haben, um bei uns bleiben zu können?«
»Glaube schon, wenn ich mich auch ein bißchen mehr willkommen gefühlt hätte, wenn ich eingelad'n worden wäre.« Er steckte die Daumen in die Armlöcher seiner Weste und sah seine Tochter scharf an, die ihn weiter freundlich anlächelte und keinerlei Anstalten machte, sich eilig zu entschuldigen oder Ausflüchte zu machen.
»Kommt, wollen wir uns an den Kamin setzen und ein Glas Wein zu uns nehmen«, bat sie unbeeindruckt von seiner Ermahnung. »Ihr müßt beide nach der langen Reise hungrig sein. Ich werde dem Koch Bescheid sagen, daß er etwas für euch richtet, während wir plaudern.«
Auf ihren Ruf erschien Aggie und machte sich an dem Tisch
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