Eine Rose im Winter
so aus, als ob sie ihn erwischt hätten. Der Sheriff war hier, um nach ihm zu suchen …«
»He?« Avery fuhr hoch. »Warum kommt Allan denn hierher, um den schwarzen Reiter zu suchen?«
»Wußten Sie das nicht?« fragte Erienne mit perfekt gespielter Unschuld. »Die Saxtons und Setons sind Cousins. Seit meiner Hochzeit war Christopher hier einige Male zu Besuch. Er hat mich sogar zu Lord Talbots Ball begleitet.«
»Er hat was?!« schrie Avery und fuhr dann in heftiger Erregung fort: »Willst du mir sagen, daß dein Mann diesem Hurensohn getraut hat?!«
Vom Tisch hörte man Geräusche, und Erienne sah mit einem Blick über die Schulter, wie Aggie damit beschäftigt war, das Silbergeschirr aufzulegen. Die Lippen der Frau waren eng aufeinandergepreßt, und sie sah auf, um einen Blick auf den Bürgermeister zu werfen.
»Vater, wenn Sie bei uns in der Wahl Ihrer Worte etwas vorsichtiger sein könnten«, ermahnte Erienne und hatte Mühe, dabei selbst Haltung zu bewahren. Die Verunglimpfung richtete sich gegen den, der ihrem Herzen am nächsten stand. »Es könnte Leute geben, die sich beleidigt fühlen.«
Er schnaubte. »Bah! Mir ist das egal, was die Dienstboten denken.«
»Ich sprach nicht von den Dienstboten, Vater.« Sie begegnete seinem erstaunten Blick mit einem glatten Lächeln, fast als ob sie ihn ermuntern wollte, weiter zu fragen.
Doch Farrell stellte schließlich die Frage. »Erienne, bist du wirklich so weit gekommen, daß du diesen Mann ertragen kannst, oder?«
Sie gab sich freundlicher, als sie sich ihm zuwandte. »Farrell, ich habe viele Anschuldigungen gehört, die sich gegen diesen Mann richteten, und habe inzwischen erkennen müssen, daß die meisten davon falsch waren.«
Farrell runzelte die Stirn. »Aber er hat Vater beschuldigt, daß er betrügt.«
Erienne sah ihren Vater an, der seinen Kopf verlegen zwischen die Schultern zog. »Ich weiß das, Farrell. Trotzdem möchte ich vorschlagen, daß du den Mann erst einmal persönlich kennen lernst, bevor du dir eine endgültige Meinung bildest. Mag sein, daß er sich als wertvoller Freund herausstellt.«
»Hast du deinen Verstand verloren, Mädchen?!« fragte Avery in scharfem Ton. »Sieh dir doch an, was der Mann mit dem Arm von dem armen Farrell gemacht hat. Durch ihn ist der Junge zu einem nutzlosen Krüppel geworden …«
»Vater!« Eriennes Augen blitzten wütend, und angesichts ihres Angriffs wurde Avery vorsichtiger. »Farrell ist kein nutzloser Krüppel, und ich finde es abscheulich, daß Sie ihn so nennen!«
Aggie war näher gekommen und wartete in höflichem Schweigen, bis sich ihre Herrin ihr zuwandte. »Würden die Herren« – sie betonte das Wort mit einem Seitenblick auf den Bürgermeister – »jetzt zum Essen kommen wollen, M'am?«
Avery erhob sich eilig aus seinem Stuhl, und Erienne nickte. Die Frau ging zum Esstisch und schenkte erneut Wein ein. Die Männer folgten. Erienne wartete, bis ihr Vater und Farrell am Tisch Platz genommen hatten, und entschuldigte sich dann.
»Ich muß nachsehen, was Lord Saxton aufgehalten hat, Aggie wird euch bedienen, während ich weg bin. Laßt euch durch meine Abwesenheit nicht stören.«
Avery zeigte keine Verlegenheit, sich mit Brot und dem Wein, der auf dem Tisch stand, zu bedienen, und während seine beiden Hände beschäftigt waren, zeigte er mit dem Kinn auf seine Tochter, die eben den Saal verließ.
»Geht sicher zu Seiner Majestät, um ihm den Hintern abzuwischen.« Er warf einen Blick auf Aggie, die sich überrascht verschluckte, und fuhr dann ungerührt fort: »Na wenn schon, wahrscheinlich muß ihn das Ding wie'n Baby baden.«
Aggie sah ihn einen Augenblick an und bemerkte, wie Farrell errötete. Sie überließ die beiden ihrer eigenen Bedienung und entfernte sich hastig in Richtung der Küche. In ihrer Wut stützte sie sich dort mit beiden Armen gegen das Schneidebrett. Sie betrachtete liebevoll die lange Schneide des Küchenmessers und überlegte, was so eine Waffe wohl mit Averys fettem Bauch anrichten könnte. Sie verwarf noch einige andere blutrünstige Möglichkeiten, bevor sie an dem Küchenregal ein Bündel mit getrockneten Kräutern für die Küche und für Heilzwecke entdeckte. Ihre Augen leuchteten auf. Sie kannte die segensreichen Wirkungen von Senneskraut und Flohwurz. In größeren Mengen angewandt, konnten eines allein oder beide zusammen die von ihr gewünschten Reaktionen hervorbringen.
»Kommt gerade für den nächsten Gang zurecht«, sagte sie zu sich
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