Eine Rose im Winter
selbst.
Sie machte sich wie besessen ans Werk und tat die Zugaben in die Schüssel, die sie für den Bürgermeister zur Seite gestellt hatte. Der geschmolzene Käse würde hoffentlich den Geruch verdecken, doch da der Mann sich so leidenschaftlich dem Essen hingab, würde er es wahrscheinlich noch nicht einmal merken.
Als sie wieder in den Saal kam, trug sie die beiden dampfenden Schüsseln auf einem Silbertablett. Mit einem breiten Lächeln beeilte sie sich, die eine Portion Farrell zu geben und die andere vor dem Bürgermeister auf den Tisch zu stellen.
»Eine Probe von geschmolzenem Käse, Sir?« war ihre freundliche Aufforderung, während Averys Nasenlöcher prüfend das Aroma einsogen.
Er nahm sich einen Löffel und probierte mit spitzer Zunge etwas vom Rande. Er fand die Speise delikat und verlor keine Zeit, alles zu verschlingen, bis er voll gesättigt war. Schließlich schob er sich mit lautstarkem Aufstoßen vom Tisch, um so seiner Bewunderung für den Koch Ausdruck zu geben.
Der Rest des Nachmittags verlief angenehm. Man führte die Gäste durch die Ställe, wo man stolz einige feine, heißblütige Stuten präsentierte. Was verwunderte, war nur, daß es keine Hengste zu geben schien. Avery gähnte sich durch die Führung über das Gelände des Hauses, bei der bewußt die Ruinen des Ost-Flügels ausgelassen wurden. Er sehnte sich nach der Bequemlichkeit seines Bettes im oberen Stockwerk.
Die Unterhaltung wandte sich Feuerwaffen zu, was Farrells Wünschen entgegenkam. Lord Saxton berichtete begeistert von der Treffsicherheit eines neuen amerikanischen Gewehres mit ungewöhnlich leichtem Kaliber und einem neumodischen Lauf. Avery konnte dazu auch etwas beitragen und ließ sich ohne Rücksicht auf die anderen des langen und breiten über die Zuverlässigkeit der robusten englischen ›Brown Bess‹-Muskete aus. Er bezeichnete ihre Zielgenauigkeit auf dreißig Schritt als ganz außergewöhnlich gut und verwarf belustigt den Gedanken, daß es ein Gewehr geben könnte, das mit Sicherheit auf mehr als hundert Schritt ein Eichhörnchen traf. Die unbewegliche Maske ließ nicht erkennen, wie beeindruckt sie von diesen Argumenten war. Auf Veranlassung des Hausherrn veranstaltete man jedoch eine kleine Demonstration, und sehr zum Ärger des Bürgermeisters wurde die Angelegenheit zum Vorteil des neuen Gewehres entschieden. Mit vor Wut gerötetem Gesicht mußte Avery bemerken, daß sowohl seine Tochter als auch sein Sohn mit dem Ausgang des Probeschießens sehr zufrieden waren, so als sei der Krüppel ihr Favorit. Bei seiner Tochter, die in unverständlicher Weise an dem Mann zu hängen schien, konnte er das noch entschuldigen, doch sein eigener Sohn …
Avery ließ seine Mundwinkel hängen. Farrell hatte in letzter Zeit eine Vorliebe für Waffen entwickelt und sein schwer verdientes Geld dafür ausgegeben, so daß für seinen alternden Vater nur hier und da eine lächerliche Kleinigkeit blieb. Auch war es Avery nicht verborgen geblieben, daß sein Sohn seinen Spaß an einer Nacht in der Schänke unter guten Freunden und bei vielen Krügen Ale verloren zu haben schien. Viel eher machte er sich auf den Weg nach York, und Avery begann sich zu fragen, ob es dabei nur um eine neue Anstellung ging.
Ich verliere den Jungen, dachte er verdrießlich, und er wendete sich diesem schwarz gekleideten Krüppel zu, einem Mann, der wahrscheinlich nie auf einem Pferd gesessen hatte oder jemals in einer richtigen, gefährlichen Schlacht einen Schuß abgegeben hatte.
Avery beeilte sich, die anderen einzuholen, als er sah, daß sie vorausgegangen waren und sich in gedämpftem Ton unterhielten. Farrell schien mehr geneigt zu sein, sich mit den beiden als mit ihm zu unterhalten. Bei verschiedenen Gelegenheiten war er verstummt, als er näher kam, als ob der Junge nicht wollte, daß er zuhörte.
Avery folgte der Gruppe in die Bibliothek, wo dieser affige Krüppel sich hinter die spanische Wand, die vor dem Cembalo stand, zurückzog, die Handschuhe ablegte und eine lange Folge von Melodien erklingen ließ. Avery beobachtete aufmerksam Erienne in der Hoffnung, daß er einen günstigen Augenblick finden könnte, um mit ihr über den Zweck seines Besuches zu sprechen. Er brauchte einen guten Zuschuss aus ihrem Reichtum. Er hatte sorgfältig geplant, wie er seine Bitte vortragen würde, und sich am Nachmittag noch mal alles gut überlegt. Sicherlich würde sie Verständnis dafür haben, daß Farrell für seinen Arm Geld und Fürsorge
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