Eine Rose im Winter
blutsverwandt. Du gehörst zu mir!«
Der Mund des Jüngeren verzog sich verächtlich. »Sie haben uns alle verkauft – meine Mutter, meine Schwester … mich – mit Ihrer Leidenschaft für's Trinken und Spielen haben Sie uns alle an den Bettelstab gebracht.«
»Ich hab' dich auf den Knien geschaukelt«, wehrte sich Avery. »Durch mich hast du viel von dem schönen Leben kennen gelernt. Ich war es, der dich in den frühen Morgenstunden nach Hause gebracht hat, wenn du so betrunken warst, daß du nicht mehr auf den Beinen stehen konntest.«
»In den vergangenen Monaten hat Erienne mehr für mich getan, als Ihnen jemals in den Sinn gekommen wäre!« stellte Farrell fest. »Sie schenkte mir Verständnis … und Liebe … und gab mir den Willen zurück, wieder allein auf meinen zwei Füßen zu stehen … und die Kraft, mich nicht mehr selbst zu bemitleiden und die Schuld dafür anderen zuzuschieben!«
»Du stellst dich auf ihre Seite gegen deinen eigenen leiblichen Vater?« rief Avery lauthals.
»Ich möchte mich nicht länger mit ihnen als verwandt betrachten!« Farrells Stimme wurde leise und hatte eine grausame Ruhe, als er fortfuhr. »Ich werde dieses Haus verlassen und meinen Wohnsitz in York nehmen, wo ich bald heiraten werde. Und Sie, Sir, werden nicht zu meiner Hochzeit geladen sein und auch niemals mein Haus besuchen. Von nun an soll es mich nicht mehr kümmern, wie Sie weiterhin Ihr Leben verbringen.«
»Aber, Junge, siehst du denn nicht, daß ich ein Pferd brauche. Lord Saxton wird mich suchen …«
Farrell nickte. »Jawohl! Lord Saxton wird Sie suchen. Und wenn ich Sie wäre, Sir, würde ich nach einem ganz tiefen Loch Ausschau halten, in das ich mich verkriechen kann.« Er machte auf dem Absatz kehrt und warf ihm auf dem Weg aus der Küche nur noch ein »Guten Tag, Sir!« zu.
***
Avery füllte sich den Magen, zog die Stiefel an und warf sich den Mantel über seine verwahrloste Kleidung. Mit hochgeschlagenem Kragen, um sein Gesicht zu verbergen, und dem kleinen Geldbeutel fest in seiner Tasche, stampfte er aus dem Haus. Er hatte einen Krug Ale bei sich und den Rest des Schweinefleisches, das er in ein Tuch eingeschlagen unterm Arm trug, denn er wußte nicht, wann er wieder nach Haus zurückkehren würde. Es war stürmisch, kühl und dunkel geworden, als ob eine drohende Vorahnung die Wärme der Frühlingssonne schon kurz nach Mittag erschöpft hätte.
Eine Weile wanderte er ziellos umher, bis er schließlich auf der Brücke stehen blieb. Als er sicher war, daß ihn niemand beobachtete, schlich er sich schnell von der Straße. Unter dem Brückenbogen lief er ein Stück zurück und drang in das dichte Gestrüpp am Ufer ein, wobei er nur kurz an der Stelle verweilte, wo man Timmy Sears gefunden hatte. Die Haare sträubten sich ihm, denn jedermann sagte, daß Christopher Seton den Mord begangen hatte. Wenn es so war, daß das Weibsbild ein Kind von ihm erwartete, würde der Yankee bestimmt nach dem suchen, der sie verkauft hatte. Noch mehr Grund für Avery, sich Sorgen zu machen.
Man hatte sich erzählt, daß irgendwo in dem sumpfigen Unterholz oberhalb der Stadt Ben Mose sich eine primitive Unterkunft gebaut hatte. Wenn er die finden konnte, so war er fürs erste vor dem Zorn von Seton und Saxton sicher und doch nahe genug, um einem Ruf von Talbot oder dem Sheriff folgen zu können.
***
Farrell Fleming sprengte mit seinem Ross um die letzte scharfe Biegung vor Saxton Hall und trieb es mit Hackenschlägen noch schneller voran. Die Kutsche stand auf dem Weg vor dem Haus, und die Pferde hatten von dem halsbrecherischen Tempo, das Tanner mit ihnen eingeschlagen haben mußte, noch Schaum vor dem Maul. Ein Bedienter brachte eben den Landauer, während Keats zu dem großen Wagen rannte und auf den Bock kletterte. Er nahm die Zügel auf und lenkte das Vierergespann zu den Stallungen, um vor dem Eingang für den Landauer Platz zu machen.
Farrell zerrte an seinen Zügeln, während er vor das Tor ritt, und sein Ross stand noch nicht richtig, als seine Füße schon auf dem Boden waren. Er warf sich mit seinem Körper gegen die große Tür und stieß sie auf, wobei er fast Paine über den Haufen geworfen hätte, der gerade dabei war, sie für Lord Saxton zu öffnen.
»Lord Saxton …« Farrell hielt den Atem an, als er sah, wie der Gesuchte schnell humpelnd durch den Gang auf den Turm zukam, mit Bundy und Tanner hinter ihm, die schnaufend mit dem erregten Mann Schritt zu halten versuchten.
»Ich hab'
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