Eine Rose im Winter
schicke ich vor Einbruch der Dunkelheit in der Mietkutsche nach Hause. Also, fahrt jetzt los!«
Tanner fuhr nur ungern weg, wußte aber auch nicht, was er dem Bürgermeister entgegnen sollte. Er kletterte auf den Bock, ließ die Pferde mit einem Schnalzen anziehen und fuhr schnurstracks an der Wirtschaft vorbei. Als sie die graue Umgebung Mawbrys hinter sich gelassen hatten, trieb er jedoch zu schnellem Galopp an.
Avery kam ins Wohnzimmer zurück, wobei er möglichst den anklagenden Blicken Eriennes auszuweichen suchte. Ihr Gesicht über dem leinenen Knebel war rot angelaufen, und ihre Augen blitzten vor Rachsucht.
Parker sah auf seine Gefangene und rieb sich nachdenklich das Kinn. »Immerhin, die Lady Saxton ist die Geliebte eines bekannten Verbrechers und eine Ehebrecherin. Genug Gründe, um sie gefangen zu halten. Und in der Zwischenzeit werden wir dafür sorgen, daß Seton erfährt, daß sie festgehalten wird. Das wird ihn herbringen.«
Er winkte einem seiner Leute. »Du! Du gehst zur Posthalterei und mietest die Kutsche. Sag dem Kutscher, daß wir ihn nicht brauchen und daß wir den Wagen vor Mitternacht zurückbringen.« Er zählte einige Münzen in die Hand des anderen. »Das sollte für ihn genügen.« Als der Mann ging, ermahnte er ihn noch: »Und sieh zu, daß das Pferd etwas taugt.«
Parker blickte wieder auf Erienne. »Machen Sie sich keine Sorgen, Mylady. Mit mir sind Sie so sicher wie in Ihren eigenen vier Wänden.« Er lachte kurz über den Zweifel, der aus ihren Augen zu entnehmen war, und fügte hinzu: »Wenigstens so lange, bis Lord Talbot von seinen Geschäften zurückgekehrt ist. Dann allerdings werde ich Sie sich selbst überlassen müssen.«
Ein finsterer Blick traf ihn. Dann wandte sich Erienne ab und beendete damit die Unterhaltung so wirkungsvoll, als wenn sie ihre Stimme gehabt hätte. Man mochte sie gefangen und gefesselt haben, aber noch war sie nicht tot, und sie schwor sich, ihnen soviel Widerstand wie nur möglich zu leisten.
Das Klappern alter Wagenräder kündigte die Ankunft der gebrechlichen Mietkutsche an. Die Männer des Sheriffs brachten sie vor dem Haus zum Halten. Nach einem Blick durch das Fenster nahm Parker Erienne beim Arm und ließ sie aufstehen. »Kommen Sie, Mylady, ich werde Sie zum Wagen begleiten.«
Avery schob noch einmal seinen fülligen Körper dazwischen. »Parker, äh … sie trug einen Geldbeutel bei sich.« Etwas unsicher streckte er eine Hand aus und wartete darauf, sie gefüllt zu bekommen.
Der Sheriff sah ihn streng an. Dann flog ein kurzes Lächeln über sein Gesicht. »Du würdest deine eigene Tochter bestehlen? Aber, aber! Avery, wie kannst du denn so etwas tun? Hier, nimm meinen Beutel, wenn du wirklich etwas brauchst.« Er holte seinen heraus, der viel leichter war, und ließ ihn in die gierige Hand fallen.
Averys Stirn legte sich in scharfe Falten, als er den Beutel in seiner Hand wog. »Ich habe nicht nur ein paar Shilling zu bekommen. Seine Lordschaft schuldet mir noch das Geld für die letzten beiden Monate und diesen. Dazu kommen noch die Dienste, die ich in letzter Zeit geleistet habe.« Seine Augen verengten sich, während er gierig knurrte: »Jawohl, er schuldet mir noch 'ne ganze Menge mehr als das.«
»Mit dem Geld kannst du dir für 'n paar Tage Rum kaufen.« Parker zuckte mit den Schultern. »Du kannst die Sache mit Lord Talbot besprechen, wenn er wieder zurück ist. Werde zuseh'n, daß du ihn treffen kannst.« Sein Lächeln wurde breiter. »Ich vermute, du kannst dir vorstellen, wer dich heute abend besuchen wird, wenn Lady Saxton nicht zurückkehrt. Ich an deiner Stelle, Avery, würde Wirkinton oder Carlisle oder irgendeinen anderen Ort, der von hier ein gutes Stück entfernt ist, aufsuchen.«
Der Sheriff tippte zum Abschied an seine Hutkrempe. Er zog Eriennes Kapuze nach vorn, so daß man ihr Gesicht nicht sehen konnte und führte sie zum Wagen. Auf dem Weg durch den Garten gab sie ihre gespielte demütige Haltung auf und trat den Sheriff mit ihrem spitzen Absatz mit voller Wucht auf die Zehe. Er konnte nur einen unterdrückten Schmerzensschrei von sich geben, als Erienne mit ihren eng zusammengefesselten Händen um sich schlug und ihn genau dort am Hals traf, wo sein Adamsapfel hervortrat. Ihr Angriff ließ ihn atemlos zurücktaumeln, während er sich mit einer Hand an die Kehle faßte und halb erstickt nach Luft schnappte.
Eriennes Fluchtversuch vereitelte der Mann, der ihnen aus dem Haus gefolgt war. Er umfasste sie mit
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