Eine Rose im Winter
Taille ergaben sogar den Torso eines Piraten, zumindest wie er in vielen Träumen aussehen mochte, und mit seinem unverschämten Lächeln und den dunklen lockigen Haaren, die ihm in die Stirn hingen, hätte er einen ganz prächtigen Freibeuter abgegeben.
»Da ich auf meine Frage ohne Antwort bleibe, darf ich wohl annehmen, daß Sie es für sinnvoller finden, hier zu bleiben. Gut!« Ein wilder Blick, den sie ihm zuwarf, erhöhte sichtlich sein Vergnügen. »Falls der Regen in der Nacht aufhört, werde ich dafür sorgen, daß Sie vor Sonnenaufgang zu Hause sind. Da Ihr Vater noch in Wirkinton ist und Ihr Bruder höchstwahrscheinlich einen neuen Rausch ausschläft« – er vermied es, Molly zu erwähnen –, »braucht niemand zu erfahren, daß Sie die Nacht hier mit mir verbracht haben.«
»Was gibt Ihnen eigentlich das Recht zu diesen verleumderischen Behauptungen über Farrell?« Blitzende Empörung stand in ihren Augen. »Wie können Sie sich das erlauben?«
»Sie brauchen sich nicht beleidigt zu fühlen, meine Liebe«, bemerkte er nachsichtig, »ich beurteile Sie nicht nach den Eskapaden Ihres Bruders.«
»Oh, Sie gemeiner Kerl! Sie abscheulich gemeines Subjekt! Er wäre nicht so, wie er heute ist, wenn Sie ihn nicht angeschossen hätten.«
»Wirklich?« Christopher sah sie zweifelnd an. »So wie man allgemein von ihm sprach, war Ihr Bruder, schon lange bevor ich ihm begegnete, nicht gerade als Opferlamm bekannt.«
Er nahm ihre Sachen und breitete sie neben dem Feuer aus. Alle weiteren Kommentare, die Erienne noch hätte machen können, wurden allein durch die Art und Weise unterdrückt, in der er mit der größten Selbstverständlichkeit ihre Kleider sortierte. Verlegen rollte sie sich wie ein Knoten zusammen und zog sich den langen Reitermantel ruckweise bis zum Hals hoch, damit es, wie sie glaubte, so aussah, als ob sie das Thema bewußt beendet hätte. Es dauerte ziemlich lange, bis sich ihre Gereiztheit allmählich legte. Erschöpft lag sie am Feuer und beobachtete die zuckenden Flammen, bis ihre Augenlider zufielen und sie dem Schlaf nicht mehr widerstehen konnte.
***
Erienne erwachte mit dem seltsamen Gefühl, daß man sie beobachtete, und sie wurde von einer leichten Panik erfasst, als sie ihre Umgebung nicht wieder erkennen konnte. Eine Talgleuchte tauchte einen kleinen Raum um sie herum in ein sanftes, goldenes Licht; an ihrer Wange fühlte sie die Wärme eines Feuers. Große, grob behauene Baumstämme erschienen als fremde Muster über ihrem Kopf, zu niedrig und zu dunkel, als daß sie zu ihrem Schlafzimmer hätten gehören können. Unter der kratzenden Decke spürte sie eine widerliche Feuchtigkeit auf ihrer Haut, und als sie mit der Hand hinfaßte, fiel es ihr wieder ein: Das war ihr Hemd … das einzige Kleidungsstück, das Christopher Seton ihr gelassen hatte, als er sie von dem Rest befreite.
Plötzlich erinnerte sie sich wieder an alles, sie hielt den Atem an, setzte sich kerzengerade auf und ließ ihre Blicke auf der Suche nach dem Schurken durch das Dunkel schweifen. Er war viel zu nahe, als daß sie hätte Ruhe finden können; da saß er mit seinem breiten Rücken an einen Pfosten gelehnt, ein Arm locker über das angezogene Knie gelegt. Sein Blick ließ sie nicht los, und wenn er an ihr herabwanderte, belebten sich seine Augen und riefen ihr ins Bewußtsein, daß ihre Bekleidung sie nur mangelhaft bedeckte. Der Mantel war heruntergeglitten, und ein schneller Blick nach unten bestätigte ihre Befürchtungen: Nichts blieb der Einbildung überlassen. Ihre Haut glänzte im Schein des Feuers, und die weichen, rosigen Hügel ihrer Brüste pressten sich gegen das dünne Gewebe. Sie hielt erschreckt die Luft an und zog das wollene Kleidungsstück an sich.
»Wie lange haben Sie hier gesessen und mich im Schlaf angestarrt?« verlangte sie zu wissen.
Ein Lächeln entglitt seinen Lippen. »Lange genug.«
Sie war nicht zu Scherzen aufgelegt. »Lange genug wofür?«
Sein glühender Blick umfing sie. »Lange genug, um zu der Erkenntnis zu kommen, daß Sie sehr viel mehr wert sind als irgendwelche Schulden.«
Erienne verzog ihren Mund und starrte ihn überrascht an, ohne sich vorzustellen, welchen Anblick sie mit ihren über die Schultern wild herabfallenden Haaren bot. »Mr. Seton, Sie können mich doch unmöglich als den Gegenwert für eine unbezahlte Schuld betrachten. Wenn das Ihr Ernst sein sollte, müßten Sie einen Gutteil Ihres Verstandes verloren haben.«
»Wenn es nach Ihrem Vater
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