Eine Rose im Winter
nervöser Spannung, daß Lord Saxton ausstieg. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, noch einmal von diesen glatten behandschuhten und unpersönlichen Händen berührt zu werden. Sie konnte sich jedoch auch nicht vorstellen, wie sie seine Hilfe beim Verlassen des Wagens ausschlagen konnte. Als er sich umdrehte, lief es ihr kalt den Rücken herunter, und sie versuchte, sich zusammenzunehmen. Sein Handschuh erhob sich, doch nur, um dem Bediensteten ein schnelles Zeichen zu geben. Der junge Mann sprang zur Tür und bot seine Hand. Mit einem Seufzer der Erleichterung akzeptierte Erienne den Ersatz. Es wunderte sie, wieviel Nachsicht ihr Ehemann zeigte, und sie fragte sich, ob er wirklich eine Vorstellung hatte, wie sehr sie es verabscheute, von ihm berührt zu werden. Oder war es vielleicht nur ein Zeichen seines kalt berechnenden Charakters?
Sie trat auf den Boden und wartete neben ihm, während der Lakai vorauslief, um die Eingangstür zu öffnen. Soweit ihr Mut reichte, versuchte Erienne den Anblick ihres Ehemanns zu vermeiden, bis er sie ansprach.
»Da ich nicht so ganz leichtfüßig bin, Madam, würde ich es vorziehen, ihnen zu folgen.« Er erhob einladend eine Hand, die sie zum Vorausgehen aufforderte.
Erienne brauchte keine weitere Aufforderung, um ihm zu enteilen. Sie versuchte das Geräusch seines verkrüppelten Beines zu überhören, doch selbst der Donner der Hufe einer wildgewordenen Büffelherde hätte nicht dieses gräßliche Kratz … Klopp … Kratz … Klopp übertönen können.
Frau Kendall wartete zusammen mit dem Butler Paine im Haus, und ihr strahlendes Gesicht ließ Erienne ihre Ängste für einen Augenblick vergessen. Überschwänglich hereingebeten ging Erienne an dem Lakai und dem Butler vorbei und folgte der Haushälterin durch die Eingangshalle des Turmes, während Paine für seinen Herrn die Tür hielt. Beim Eintritt in die große Halle hielt Erienne vor Überraschung inne. Die staubbedeckten, grauen Überzüge, die die Möbel verdeckt hatten, waren verschwunden. Von dem Steinfußboden bis zu den höchsten Spitzen der Eichenholz-Balken an der Decke war alles einer gründlichen Reinigung unterzogen worden. Zum ersten Mal entdeckte Erienne, daß die hohen Wände mit Gobelins, Brustpanzern, Lanzen und anderen Attributen einer vergangenen Ritterzeit geschmückt waren. In dem riesigen Steinkamin krachten die Scheite im Feuer, das den Raum in warmen Glanz hüllte. Davor standen wenige Sessel in einer Runde auf einem riesigen Teppich. Mehr in der Nähe der Küche standen in strenger Ordnung um einen langen Tisch schwere Stühle mit senkrechter Lehne, mit gepolsterten Sitzen aus grünem Samt überzogen. In den dunkleren Ecken brannten mächtige Kerzen in den Metallhaltern von massiven Kandelabern. Zusammen mit dem Kaminfeuer verbreiteten die kleinen flackernden Flammen eine angenehme Wärme und drängten die dunklen Schatten der Nacht zurück.
»Wir hab'n uns sehr angestrengt, daß alles für Sie sauber ist, M'am«, erklärte Aggie und betrachtete mit lächelnder Genugtuung das vollbrachte Werk. »Glaube schon, daß 's schwierig für 'nen Fremden war, sich unter den ganzen Überzügen und dem ganzen Dreck so'n großartigen Raum vorzustellen. Ich war ja schon als junge Frau hier und wußte daher, was für ein großartiges Haus das war, als der alte Lord noch lebte.«
Eine hohle Stimme ertönte vom Eingang und rief den Namen der Haushälterin. Beide Frauen drehten sich wie auf ein Kommando um. Aggie gewann sehr schnell ihre Haltung zurück und schien nicht im geringsten verlegen, als sie den Herrn des Hauses in seiner drohenden Vermummung ansah.
»Haben Sie nach mir gerufen, Mylord?«
Der Butler Paine nahm den Mantel des Herrn und trat zur Seite, als Lord Saxton mit der Frau sprach.
»Sie können Ihrer Herrin jetzt ihre Gemächer zeigen. Vielleicht möchte sie sich vor dem Abendessen frisch machen.«
»Sehr wohl, Mylord.« Die Haushälterin machte einen kurzen Knicks. Indem sie Eriennes kleine Tasche von dem Lakai in Empfang nahm, sah sie ihre Herrin mit einem aufmunternden Lächeln an. »Komm'n Sie nur mit, M'am. Wir hab'n da ein schönes warmes Feuer angemacht, das auf Sie wartet.«
Erienne ging in Richtung des Turmes und fühlte dabei, wie ihr die Blicke ihres Mannes durch den Raum folgten. Die Art, wie er ihr nachsah, ließ eine noch tiefere Furcht in ihr aufkeimen: Wie konnte sie ertragen, was noch kommen würde? Wie würde sie die langen, dunklen Stunden in seinen Armen aushalten,
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