Eine Rose im Winter
ohne ihn ihren Ekel spüren zu lassen, wenn ihre Haut mit seinem röchelnden Atem oder seinen vernarbten Händen in Berührung kam?
Die Haushälterin ging in einem spärlich erleuchteten Gang im oberen Stockwerk voran. Trotz des dämmrigen Lichtes war es nicht zu übersehen, daß der Korridor sorgfältig gereinigt worden war. Die Kerzenbeleuchtung wart einen sanften Glanz auf die Marmorfliesen des Fußbodens.
»Sind die Zimmer von unserem Lord, die Sie nehm'n werd'n, M'am, wie schon früher«, verkündete Aggie. »Wir hab'n alles auf Hochglanz gebracht und sie wär'n jetzt so, daß sogar ein König drin wohnen könnte« – sie lächelte Erienne verschmitzt zu, als sie hinzufügte, ~ »oder vielleicht seine Königin.«
»Das Haus sieht sicher ganz anders aus«, bemerkte Erienne in gedämpftem Ton, der verraten mochte, wie ungern sie hier war. Doch Aggie machte sich trillernd weiter zu schaffen und merkte davon nichts.
»Sie werd'n gleich sehn, was der Herr für Sie gekauft hat, M'am. Die wunderschönst'n Kleider, die Sie sich vorstell'n können. Muß 'ne schöne Stange Geld gekostet hab'n, sie so schnell gemacht zu bekommt.« Sie zwinkerte mit den Augen, als sie Erienne ansah. »Scheint große Stücke von Ihnen zu halt'n, M'am.«
Sehr wohl! Erienne mußte dem in Gedanken beipflichten. Und genug Geld, um die anderen Bewerber aus dem Feld zu schlagen!
Sie standen vor der großen Tür aus Holzpaneelen, die Erienne noch von ihrem ersten Besuch her in Erinnerung hatte. Aggie machte einen kurzen Knicks und stieß die Tür weit auf. Erienne trat durch den Eingang und stand sofort wieder im Bann der Nächte, die sie hier verbracht hatte. Das Saubermachen und Aufräumen war so weit fortgeschritten, daß der Raum vollkommen anders aussah. Doch war das Bild jenes dunklen Umrisses, in einem. Stuhl zusammengesunken und von Schatten umgeben, so klar vor ihren Augen, wie jetzt die Fensterscheiben. In ihren Gedanken fügte sie jetzt die Teile der damals verschwommenen Figur zusammen: der vermummte Kopf, der Fuß mit dem schweren Stiefel und der breitschultrige Körper ihres Mannes.
Erienne schüttelte sich vor diesem alptraumhaften Schrecken und wollte vor panischer Angst aus dem Raum fliehen. Es brauchte ihre ganze Kraft, bis das Bild vor ihren Augen verschwand. Sie kam sich vor wie jemand, der auf hoher See einen wütenden Orkan erlebt und weiß, daß er vorübergehen wird. Doch bis es soweit ist, beißt man die Zähne zusammen und krallt sich fest, um zu überleben.
Aggie eilte durch den Raum und öffnete den Schrank, um die reiche Auswahl an Kleidern zu präsentieren, die er enthielt. Sie nahm einige heraus, um sie Erienne zu zeigen und breitete vor ihr die hauchdünnen Spitzen der fein gearbeiteten Hemden und Nachtgewänder aus. Eifrig nahm sie die kleinen Schuhe mit hohen, gebogenen Absätzen und reichen Verzierungen aus dem Schrank. Und Hüte mit Federn und Spitzen lagen da, vor denen eine Claudia Talbot vor Neid erblassen würde.
Erienne erwachte aus ihrer Benommenheit und merkte, daß die freundliche Frau auf ihre Reaktion wartete. Das mit vielen Fältchen durchzogene rosafarbene Gesicht war voller Erwartung, die Erienne nicht enttäuschen wollte.
»Alles ist ganz wunderbar, Aggie«, sagte sie mit einem Lächeln. Sicher gab es nicht viele Bräute, die am Tage ihrer Hochzeit mit solch einer Ausstattung beschenkt wurden. Üblicherweise war es der Ehemann, der empfing, was die Braut als Aussteuer mitbrachte. Erienne wußte nur zu gut, daß die Schulden ihres Vaters sie um die Aussteuer gebracht und schließlich ihr Schicksal besiegelt hatten.
»Der Herr hat an alles gedacht, wirklich an alles«, sagte die Haushälterin, während sie die Vorhänge zurückzog, um den Blick auf das kleine Badezimmer freizugeben. »Er war sehr besorgt, daß man's Ihnen bequem macht.«
In dem Ankleideraum, der jetzt in makelloser Sauberkeit erstrahlte, fand sie mit Spitzen umsäumte Leinentücher für ihre Toilette, einen hohen Spiegel in der Ecke, sowie Kristallflaschen mit wohlriechenden Ölen und Flacons mit Parfüm, die seit ihrem letzten Besuch hinzugekommen waren. Alles war darauf eingerichtet, es ihr bequem zu machen und auch den ausgefallensten Wunsch zu erfüllen.
Doch auch angesichts all der Geschenke konnte es Erienne sich nicht versagen, auf den Mann selbst zu sprechen zu kommen. »Sie scheinen doch Lord Saxton besser als irgend jemand sonst zu kennen, Aggie. Was für ein Mann ist er eigentlich?«
Die Haushälterin
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