Eine Rose im Winter
»Ich muß um Ihre Nachsicht wegen meines Aufzugs bitten. Ich war früher aufrecht und stark wie jeder andere Mann. Dann hatte ich das Unglück, daß mir ein Feuer die Haut verbrannte, die jetzt vernarbt ist. Jetzt verbellen mich die Hunde, und die Kinder ängstigen sich vor meinem Anblick, so daß ich eine Maske trage. Der andere Teil meines Körpers ist so, wie Sie ihn sehen. Vielleicht können Sie verstehen, warum ich es vorgezogen habe, mich nicht zu zeigen und meine Geschäfte durch einen Agenten besorgen zu lassen. Dies war jedoch eine Gelegenheit, die ich mir nicht entgehen lassen konnte. Nachdem ich Sie bei mir im Hause gesehen hatte und nun plötzlich die Möglichkeit hatte, Sie zu meiner Frau zu machen, habe ich mich beeilt, alles in die Wege zu leiten. Jetzt ist es an Ihnen, sich zu entscheiden.« Er sah sie aufmerksam an und wartete auf eine Antwort, die nicht kam. »Stehen Sie zum Wort Ihres Vaters? Wollen Sie mich zum Mann nehmen?«
Erienne erinnerte sich daran, daß sie ihrem Vater geschworen hatte, das Haus für immer zu verlassen. Sie glaubte nicht, daß er sie wieder aufnehmen würde, zumal das die Rückgabe des ganzen Betrages an Lord Saxton bedeutet hätte. Offenbar hatte sie keine andere Wahl, und ihre Stimme klang zerrissen und gepresst, als sie antwortete: »Jawohl, mein Lord. Ich stehe zum Wort meines Vaters.«
»Gut, dann laßt uns dies hier zu einem Ende bringen.« Avery hatte seine Fassung wiedergewonnen und hatte es eilig, die Angelegenheit unter Dach und Fach zu bringen, bevor der Mann es sich anders überlegte. »Wir hab'n nun schon viel wertvolle Zeit vergeudet.«
Der kriecherische Übereifer ihres Vaters traf Erienne wie die knotigen Enden einer Peitsche und zerstörten in ihr den letzten Rest von Achtung, den sie noch vor ihm gehabt hatte. Die Tatsache, daß er sie so vollkommen ohne Mitgefühl einem Leben überantwortete, das voller Schrecken sein würde, brannte wie ein Höllenfeuer in ihrer Brust. Sie beschloß, ihm nicht mehr als nur die allernotwendigste kindliche Ehrerbietung zu erweisen. Sollte sie ihn niemals wieder sehen, so würde sie das gut ertragen können. Er hatte sie und Farrell skrupellos für seine eigenen Zwecke missbraucht und nicht die Spur von Mitgefühl gezeigt, als es offensichtlich war, daß sie durch den Ehevertrag mit diesem missgestalteten Zerrbild von Mann an dessen Seite für immer gebunden werden würde. In Zukunft würde Avery kaum mehr als ein Fremder für sie sein.
Während die Zeremonie vollzogen wurde, stand Erienne neben dem Krüppel und kam sich kümmerlich in seiner Gegenwart vor. Mit kaum hörbarer, zitternder Stimme beantwortete sie die Fragen, die ihr der Geistliche stellte. Die dumpfklingenden Antworten Lord Saxtons hallten geisterhaft in der Stille, als auch er, dem Zeremoniell entsprechend, gefragt wurde, ob er das Gelöbnis zur Ehe ablegen wolle. Der letzte zitternde Hoffnungsstrahl, daß sie noch auf irgendeine wunderbare Weise von diesem Alptraum errettet werden könnte, erlosch, als das Gelöbnis gegeben war. Eine tiefe, dumpfe Schwermut erfasste sie, die sie zu ersticken drohte, und sie starrte auf die abgenutzten Steinplatten des Kirchenbodens, als eine Hand in Handschuhen über ihren Arm strich. Aus ihrem Traumzustand gerissen, entfuhr ihrem Mund ein überraschter Laut. Sie hob den Kopf und sah mit weit geöffneten Augen die Maske an.
»Den Ring, Erienne! Nimm den Ring!« hörte sie die Stimme ihres Vaters hinter sich, und mit benommenem Blick sah sie, daß die schwarzen Lederfinger einen breiten, mit Edelsteinen besetzten Ring hielten, von dessen Wert sie sich überhaupt keine Vorstellung machen konnte. Avery keuchte begierig, als er beobachtete, wie der Ring an ihren Finger gesteckt wurde. Erienne war jedoch dabei so sehr von der amphibiengleichen Kühle der Hände in den Bann geschlagen, daß sie ihren neuen Besitz überhaupt nicht zur Kenntnis genommen hatte.
Alles war ganz schnell geschehen. Sie war jetzt die Ehefrau dieses scheußlichen Lord Saxton und fragte sich, wie sie weiter existieren konnte, wenn jeder Augenblick ihres Lebens zu einem Alptraum würde. Wie anders könnte sie aber empfinden, wenn sie gezwungen sein würde, mit einem Wesen zusammenzuleben, das aussah, als ob es aus den tiefsten Schlünden der Hölle emporgekrochen sei?
In einem großen Akt gespielter Zuneigung drehte Avery seine Tochter zu sich und küßte sie auf die Wange. Er ergriff dann überschwänglich ihre Hand, um sich das kostbare Spielzeug
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