Eine Rose im Winter
freuen. Vor ihren Augen waren Kostbarkeiten ausgebreitet, von denen jede Frau träumt. Doch sie wußte, daß sie dies alles mit leichtem Herzen einer anderen überlassen würde, wenn diese nur ihren Platz an der Seite Lord Saxtons eingenommen hätte. Die Stunde, da sie sich ihrem Ehemann würde hingeben müssen, rückte schnell näher, und im Augenblick barg der Gedanke an den Tod für sie keinen größeren Schrecken.
Ohne weiter darüber nachzudenken, welche Wahl sie treffen sollte, nahm sie ein Kleid aus rosa Satin mit grünen Besätzen aus dem Schrank und warf es auf das Bett. Die Aussicht, mit ihrem Ehemann in der unteren Halle zu ihrem Hochzeitsessen zusammenzutreffen, erfüllte sie mit Unbehagen. Doch wenn sie auf ihrem Zimmer blieb, würde er vielleicht um so eher zu ihr kommen, um auf die Formalitäten zwischen ihnen zu verzichten. Sie wollte nicht den Eindruck erwecken, als ob sie begierig sei, ihre Ehe zu vollziehen, und begann sich zu beeilen.
Sie rief Aggie, die eine junge Frau namens Tessie mitbrachte. Man hatte sie aus London nach Saxton Hall kommen lassen, damit sie der neuen Herrin als persönliche Bedienung zur Verfügung stehen sollte, und Erienne blieb ihrer Obhut überlassen. Ein wohlriechendes Bad erfrischte Erienne. Ihre Haut wurde zart getrocknet und ein leichtes, parfümiertes Öl einmassiert. Die Korsettschnüre wurden angezogen und über ihren Unterröcken ein Polster befestigt. Dann nahm sie vor dem Spiegel Platz, während sich Tessie damit beschäftigte, ihre dunklen Haare in eine elegante Frisur zu bringen. Sie flocht rosa und grüne Satinbänder in ihre Zöpfe und ließ diese in langen, lockigen Haarsträhnen auslaufen, die sich an ihren Hals und oberhalb des Busens anschmiegten. Schließlich wurde das Kleid angelegt, und Erienne mußte feststellen, daß sie keine glückliche Wahl getroffen hatte.
Das Leibchen des Kleides saß eng auf ihrer eingeschnürten Taille. Die Ärmel waren lang und schmal und endeten in einem Muster aus grünen Schnüren an den Handgelenken. Das Dekolleté war in der gleichen Weise verziert, und hier spürte Erienne das größte Unbehagen. Der tiefe Ausschnitt, der eben über den Spitzen ihrer Brüste abschloss, stellte ihren Busen, wie sie glaubte, in einer geradezu provozierenden Art zur Schau. Gemessen an der Abneigung, die sie ihrem Ehemann entgegenbrachte, war dieses Kleid eine schlechte Wahl. Natürlich hatte er während ihrer Krankheit viel mehr von ihr gesehen, als das Kleid jetzt preisgab. Nach der genauen Passform der Kleider zu urteilen, hatte er auch beim Anblick ihres nackten Körpers keinerlei Scham empfunden. Trotz alledem war sie nicht in der Stimmung, ihn mit einer extravaganten Zurschaustellung ihres Busens zu reizen. Doch solange Tessie da war, konnte sie das Kleid schlecht gegen ein anderes austauschen. Ganz sicher nicht, nachdem das Mädchen sich soviel Arbeit gemacht hatte, ihr Bänder in den gleichen Farben ins Haar zu flechten. Sie war gerade dabei zu überlegen, wie sie die ganze Angelegenheit taktvoll angehen konnte, als Aggie zurückkehrte. Das machte alles noch komplizierter.
»Oh, M'am, Sie sehn strahlend schön wie die Morgensonne aus«, rief sie begeistert.
»Das Kleid ist sehr hübsch«, erwiderte Erienne, nachdem es ihr gelungen war, sich zu einem ruhigen Ton zu zwingen. »Doch mir schien es unten ein wenig kühl. Vermutlich werde ich mich besser fühlen, wenn ich etwas anderes anziehe.«
»Da mach'n Sie sich mal keine Sorg'n, M'am. Ich hol' Ihnen 'nen Schal.« Die Haushälterin ging zum Schrank und suchte da eifrig, bis sie einen aus schwarzer Spitze gefunden hatte. Sie brachte ihn Erienne und zuckte die Schultern. »Scheint kein and'rer da zu sein, M'am, und der hier is' so dünn, daß er Sie kaum warm halten wird.«
»Ich glaube, das geht schon«, erwiderte Erienne nicht zu überzeugt und legte ihn sich über ihre Schultern und hoch über ihren Ausschnitt. Sogar ein Taschentuch wäre schon von Nutzen gewesen.
»Lord Sax –« Erienne hielt ein, um ihre Frage zu korrigieren. »Wo ist mein Mann?«
»Unten, im Empfangsraum, M'am«, antwortete Aggie freundlich. »Er wartet auf Sie.«
Die Antwort der Frau genügte, um Erienne im Inneren wieder diese kalte, aufwühlende Angst verspüren zu lassen. Sie atmete tief, nahm allen Mut zusammen, der ihr noch verblieben war, und verließ das Zimmer. Die hohen Absätze hallten durch den stillen Gang und gaben ein dumpfes Echo, als sie die gewundenen Stufen hinabging. Das
Weitere Kostenlose Bücher