Eine Rose im Winter
daran anzusehen. Seine Augen glitzerten vor unverhüllter Gier fast genauso hell wie die Steine, die den Ring in einem Kranz umschlossen, während für einen kurzen Augenblick ein Lächeln seine Gedankengänge verriet. Wenn er Erienne in irgendeiner Weise in ihr Elternhaus zurücklocken könnte, um dann eine Geschichte zu erfinden, die dem Lord klarmachte, wie sehr sie ihre Familie vermisse; vielleicht wäre das eine Chance, daß ihr Ehemann die ganze Familie einladen würde, auf seinem Schloß zu leben. Und einmal in dem Haus, dann wäre es nur noch ein geringer Schritt, um an die Schätze des Mannes ranzukommen.
Avery wurde wieder nüchterner und legte sein Gesicht in sorgenvolle Falten, bevor er sich an seinen neuen Schwiegersohn heranschlängelte. »Glaube, meine Tochter wird noch mal wegen ihrer letzten Sachen nach Hause kommen wollen, Mylord.«
»Dafür wird keine Notwendigkeit bestehen.« Er krächzte die Silben hinter seiner Maske hervor. »Alles, was sie braucht, wird für sie in meinem Hause bereitstehen.«
»Aber das Mädchen hat nur ganz wenige Kleider eingepackt.« Avery deutete auf ihre kleine Tasche, während er diese Lüge äußerte. »Kaum ein gescheites Stück zum Anziehn.«
»Kleidung wird in Saxton Hall zur Verfügung gestellt. Anderes kann nach ihrem Wunsch gekauft werden.«
»Sie verweigern mir also ein paar letzte Stunden mit meiner Tochter?« fuhr Avery in dümmlichem Ton fort. »Wissen Sie, ich bin ihr wirklich ein guter Vater und nicht damit zufrieden gewesen, was man üblicherweise tut. Nein, ich habe auch mein Bestes getan, damit sie ordentlich verheiratet wird, an einen Mann, der gut für sie sorgt … und ihre Familie.«
Das glatte, gestaltlose Ledergesicht wandte sich voll gegen Avery, und das Leuchten hinter den Augenlöchern schien ihn mit Eiseskälte zu durchbohren. Der Bürgermeister hatte in seinem Rückgrat ein stechendes Gefühl, so als ob sich kleine Widerhaken der Angst daran festsetzen würden, und sein Mut schwand sehr schnell dahin.
»Sie sind für Ihre Tochter gut bezahlt worden.« Die zischende Stimme war kurz und kalt. »Das Handeln ist vorbei. Das Geschäft ist abgeschlossen, Sie werden von mir nichts mehr bekommen. Und nun scheren Sie sich hinweg, bevor ich mir überlege, daß ich ein schlechtes Geschäft gemacht habe.«
Die unmissverständliche Drohung ließ Averys Mund offen stehen. Er stolperte ein paar Schritte zurück und verlor keinen Augenblick aufzubrechen. Er grabschte nach seinem Dreispitz, zog ihn sich auf den Kopf und eilte mit raschen Schritten den Hauptgang entlang. Mit lauter Stimme weckte er seinen Sohn aus dem Halbschlaf auf. Ohne zu ahnen, was passiert war, lief Farrell mit unsicheren Schritten hinter dem Bürgermeister her, der ohne ein Wort des Abschieds für seine Tochter verschwand.
Das Krachen der schweren Tür fand seinen Widerhall in Eriennes Bewußtsein. Es setzte einen Schlussstrich hinter das Leben, wie sie es erst seit dem Tod ihrer Mutter gekannt hatte. Doch im Augenblick empfand sie weder Verlust noch Kummer, sondern nur ein bedrücktes Grauen, was die Zukunft bringen würde.
Während sie langsam wieder in die Wirklichkeit zurückkehrte, sah sie den großen dunklen Schatten ihres Ehemannes von sich fort den Gang hinunterhumpeln. Thornton Jagger stand neben ihr und zog sie am Ärmel.
»Lord Saxton möchte jetzt gehen, Madame. Sind Sie bereit?«
Erienne antwortete mit einem kurzen unbestimmten Nicken, legte sich ihren Mantel über die Schultern und erlaubte dem Anwalt, sie an seinem Arm zu führen. Gab sie sich demütig nach außen, so war sie im Inneren so von Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit zerrissen, daß sie keinen Weg zum Widerstand entdecken konnte. Der Diener Bundy ging hinter ihnen her, und als sie den Wagen erreichten, hatte Lord Saxton bereits im Inneren Platz genommen. Sie war erleichtert, daß er neben sich keinen Platz für sie reserviert hatte. Er saß in der Mitte der Bank, seine Hände auf den Knauf seines Stockes gelegt. Seine Knie waren gespreizt, wobei der unförmige Stiefel mit der dicken Sohle zur Seite ausgestreckt, voll zu sehen war.
Erienne ließ sich von Thornton Jagger in das mit Samt ausgeschlagene Innere des Wagens helfen. Der bedrückenden Gegenwart ihres neuen Ehemannes nur zu bewußt, ließ sie sich in die Kissen des gegenüberliegenden Sitzes fallen. Für eine Zeit war sie damit beschäftigt, ihren Rock und ihren Mantel zu richten, um so seinen Blicken zu entgehen.
Bundy schwang sich neben
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