Eine Sacerda auf Abwegen
wusste nicht, wie ich dich sonst dazu kriegen sollte, nicht
sterben zu wollen. Ich musste dich überlisten. Du bedeutest mir zu viel, als
dass ich einfach hätte hinnehmen können, dass du die Strafe für mich annimmst.
Ich bin doch nur irgendwer, Juno. Du kennst mich doch gar nicht und ich bin
nicht mehr wert als deine Tochter. Warum hast du das tun wollen? Ich verstehe
das einfach nicht.”
Damit log er. Aber nur ein bisschen. Er gab ihr die Chance, von sich aus die
Wahrheit zu sagen, die sie längst kennen musste, weil sie schließlich ein paar
Jahrzehnte bei den Immaculates gelebt und sich bewusst gegen den Käfer
entschieden hatte. Somit musste sie wissen, was es mit seiner Bedeutung auf
sich hatte. Wenn sie ihm wieder ausweichen wollte, dann würde er ihr
demonstrieren, was Salama ihm gesagt hatte. Nachdrücklich und mit unverhohlener
Enttäuschung darüber, dass er tatsächlich nicht mehr für sie war als ein auf
der Straße aufgelesenes Wildkätzchen, das sie gern gezähmt hätte.
Juno rückte
bei seinen nächsten Worten gleich noch ein Stück weiter von ihm weg. Die
Erinnerungen an die Geschehnisse zwischen ihnen schossen unaufhaltsam in ihr
hoch und wollten sie dazu treiben, ihre Arme nach ihm auszustrecken.
„Ich… Nein, du hast mir keine Gewalt angetan! Aber es war ein Fehler, mein Blut
zu nehmen, um deinen Kopf durchzusetzen.“, schloss Juno mit neuerlich aufwallendem
Widerspruchsgeist, wobei ihr Gesicht wieder diesen bekannt eigensinnigen Zug
annahm.
Sie glitt von dem Bett herunter und schritt zum Fenster, um die schweren
Vorhänge wegzuziehen, weil sie keine Ahnung hatte, wie spät es war. Es dämmerte
bereits. Juno nahm gierige Atemzüge der kalten Herbstluft, nachdem sie das
Fenster praktisch aufgerissen hatte, um Chadhs Geruch aus ihrer Nase zu
vertreiben, der ihr das Denken schwer machte. Sie hasste es, sich in einer
Position von Unwissenheit wiederzufinden. Störrisch verschränkte sie die Arme
unterhalb der Brust und wandte der atemberaubenden Aussicht den Rücken zu, um
sich Chadhs Anblick zu stellen, der sie weit mehr erschauern ließ, als die
Kälte es je erreichen könnte. Sie war weit stürmischere Wetter gewohnt und
konnte solche äußeren Dinge sehr schnell ausblenden. Aber Chadh niemals wieder,
er war tief in ihrem Herzen verankert.
„Ich kann dir
keine Antwort geben… Verlang das nicht von mir. Du wolltest doch mehr als alles
andere deine Freiheit… Zugehörigkeit zu einer Familie und die Beherrschung
deiner Fähigkeiten. Dazu brauchst du mich nicht mehr… Und ich werde niemals
jemandem eine Lebensweise aufzwingen, die ihm zuwider sein muss. Ist die Strafe
damit abgegolten… Mit deinem Beinahe-Tod? Es ist nicht nötig, dass ich dir
diese Dinge erkläre, wenn… Genügt es nicht zu sagen, dass ich möchte, dass du
glücklich bist?“
Juno wandte sich voller Entsetzen von ihm ab, als sie das Brennen von Tränen in
ihren Augen spürte. Ihr Herz schien von einer unsichtbaren Hand umklammert zu
werden genau wie ihre Lungen, da sie einfach nicht mehr genug Luft zu bekommen
schien. Sie stolperte nach draußen, um sich mit beiden Händen an der steinernen
Brüstung abzustützen.
Niemals hätte sie sich ihm hingegeben, wenn sie gewusst hätte, dass sie diesen
Tag überleben würde. Er wusste nichts über die Gesetze der Immaculate und wenn
er gehen wollte, um frei zu sein, dann durfte sie ihn damit nicht an sich
binden. Es würde wehtun aber niemanden umbringen. Ihn jedenfalls nicht,
was mit ihr geschah, war doch völlig gleichgültig, wenn er nur sein Leben leben
durfte, wie er sich das wünschte.
“Juno?!”
Chadh rief ihr hinterher, als sie nach draußen stolperte, um sich seiner
Anwesenheit zu entziehen. Er sprang aus dem Bett, schwankte und stolperte ebenfalls,
da sein Körper sich noch mitten in dem schwierigen Heilungsprozess befand. Er
sah immer noch kleine Sternchen, als er zu ihr nach draußen trat. Den
Skarabäusanhänger weiterhin fest mit der Faust umschlossen. Sich am
Fenstertürrahmen abstützend starrte er hinaus in die Dämmerung, in der Juno
Zuflucht gesucht hatte.
Sie war so voller Widersprüche und Missverständnisse. Warum sagte sie nicht die
Wahrheit? Warum verlangte sie, dass er zwischen den Zeilen las oder schlimmer
noch, verließ sich darauf, dass er es nicht konnte und sich wütend von ihr
abwandte? Im Zorn, weil sie seinen Stolz verletzte und ihn indirekt für dumm
erklärte. Sie spielte mit ihm und tat sich dabei nur selbst weh. Wenn es aber
das war, was
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