Eine Sacerda auf Abwegen
kommen. Sie
konnte ihn nicht einmal ansehen. Das Orakel hatte sich somit ganz sicher
geirrt. Juno wand sich zwar in Qualen, aber nicht weil sie die Gefühle zu ihm
nicht ertrug. Dabei war es genau das. Wenn er sich selbst nicht vor ihr
verschloss und den Gekränkten spielte, dann konnte er spüren, wie es um sie
stand. Und das Abendrot im Hintergrund tat das Übrige, um die Szene zu
untermalen. Juno saß da wie eine Dame aus längst vergangener Zeit gefangen im
Hier und Heute. Gefangen in ihr selbst, obwohl sie die Freiheit mindestens so
sehr wollte wie er. Mit wehendem Haar. Wehmütig und schön.
Wie sollte er denn auch richtig verstehen, wenn sie sich ihm nie richtig
erklärte und das Wichtigste von allem als nichtig abgetan hatte? Wie hatte sie
nur verschweigen können, was der Käfer bedeutete? Natürlich hätte er es als
Schwachsinn abgetan, aber er hätte sie nicht verlassen und wäre schließlich
eines Besseren belehrt worden. Auch Murchadh stand zu seinem Wort. Auflösung
des Blutbundes hin oder her. Für ihn hatte Blut und Verwandtschaft jahrelang
keine Rolle gespielt. Zwischen ihm und Juno ging es um Vertrauen. War er so
schlecht zu ihr gewesen, dass sie sich nicht getraut hatte? Wo sie doch die
Überlegene von ihnen beiden war. Ihn mit Leichtigkeit an die Wand spielen konnte
und mit Sicherheit einen Weg gefunden hätte, seinen Zorn zu umgehen. Zumindest
dann, wenn er sich tatsächlich uneinsichtig und verstockt gezeigt hätte, was
die Soulmatesache betraf. Das hätte er. Garantiert. So sicher wie die Sonne
gerade im Westen unterging. Liebe war für ihn nie greifbar gewesen oder etwas,
das in dieser Welt tatsächlich existierte. Es gab Geben und Nehmen. Ob nun
eigennützig oder nicht. Er hatte sich gewünscht, sie zu finden. Irgendwann und
sich nach dreihundert Jahren endlich damit abgefunden, dass es keine gab und
die Welt im Allgemeinen genauso schlecht war, wie man über sie sprach. Und er
ebenso.
„Du darfst
nur nicht sterben, Chadh, das ist alles…“, antwortete Juno mit wehmütiger
Stimme und einem schmerzlich entrückten Ausdruck auf ihrem Gesicht, das nun von
dem rosa Licht der Abenddämmerung umschmeichelt wurde und ihrem Haar rötliche
Reflexe verlieh. Wenn sie es zuließ, dass ihr Gesicht lebendig wurde und ihre
Gefühle widerspiegelte, dann war es wie eine Offenbarung ihrer wahren Schönheit.
„Ich stehe zu meinem Wort… Und ich möchte dich nicht wegschicken. Du scheinst
mein Handeln falsch verstanden zu haben. Mehr als jeder andere kann ich deinen
Drang nach Freiheit nachvollziehen, ich würde dich niemals in etwas zwingen,
gegen das du dich mit der Zeit vielleicht auflehnen würdest, weil es sich
deiner Kontrolle völlig entzieht. Ich konnte es dir einfach nicht sagen… Du
scheust bei der kleinsten Zurückweisung zurück, auch wenn ich das niemals getan
habe. In der Freiheitsstatue war ich einfach nur überrumpelt, dass der
Skarabäus ausgerechnet bei dir reagieren sollte… Es konnte einfach nicht sein,
nachdem ich ihn so lange nicht getragen und gerade erst zurück erhalten hatte.
Beim ersten Mal hat er mir auch kein Glück gebracht…“
Juno dachte an die Party zurück, auf der ihr Bertrand über den Weg gelaufen
war. War das wirklich schon dreißig Jahre her?
„Ich wollte nach den Erfahrungen in der Gefangenschaft niemals wieder einen
Mann an mich heran lassen… Ich lebte ein Leben auf der Überholspur und gab mich
den Drogen in der Hoffnung hin, noch nicht stark genug zum Überleben zu sein.
Aber ich blieb ein Vampir: Zum ewigen Leben verdammt. Und dann traf ich auf
Bertrand… Einen gewöhnlichen sterblichen Mann, den ich um den Finger wickeln
wollte, um mit ihm auf dieselbe Weise zu spielen wie mit all den anderen. Es
kam anders… Ich schob es auf seine Menschlichkeit, aber nach einigen Monaten
musste ich entdecken, dass er derjenige gewesen wäre, den ich erwählt hätte,
wenn ich ein Mensch geblieben wäre. In der Nacht als er mit einen Antrag
machte, schickte ich ihn zur Hölle… In dem Punkt war er ganz genau wie du.
Stolz, dickköpfig und entschlossen. Er hätte mir niemals verziehen. Ihm die
Wahrheit zu sagen, kam nicht in Frage, es war mir untersagt und ich wollte ihn
nicht in diese Welt hineinziehen. Ich dachte, die Trennung von ihm wäre das
Schlimmste, was ich in meinem Leben ertragen müsste, doch nun weiß ich, dass
diese Gefühle nur ein Schatten von denen sind, die ich durchgemacht habe, seit
dich die Krieger gefangen genommen haben. Der Bund konnte niemals so
Weitere Kostenlose Bücher