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Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.

Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.

Titel: Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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Pferd waren bewaffnete Abteilungen, die weder etwas mit den Carabinieri noch mit den öffentlichen Sicherheitsbeamten zu tun hatten: Ihre Aufgabe bestand im wesentlichen darin, die Landbesitzer und ihre Güter zu schützen. Die berittenen Soldaten weiterhin im Dienst behalten – und sei es auch mit neuen, strengeren Vorschriften – oder sie endgültig abschaffen, ist eines der Probleme, die sich quer durch sämtliche einhundertvier Anhörungen ziehen. Die Soldaten wurden in derselben Gegend eingesetzt, wo sie auch zur Welt gekommen und aufgewachsen waren. Sie waren so gut wie mit allen Briganten, die in derselben Gegend ihr Unwesen trieben, bekannt oder verwandt. Für die verschwindend geringe Anzahl der ehrlichen Soldaten bedeutete das einen winzigen Vorsprung, für die Mehrheit der Unehrlichen jedoch ein gefundenes Fressen: Oft wurden sie gegen gute Bezahlung oder ein monatliches Fixum zu Komplizen der Briganten. Perroni Paladini verlangt dringend (im Gegensatz zu vielen seiner adligen Kollegen) ihre Abschaffung:

    »Die Einrichtung der Waffenkompanien gegen die Feldräuber ist aufgrund der lokalen und sozialen Konditionen ein altes Übel in Sizilien. So kommt es, daß wir die Bulle de componenda und die Erpressungen haben.«

    An diesem Punkt ist man ehrlich verwundert: Wieso nur stellen die Kommissare keine einzige Frage, verlangen keinerlei Erklärungen zu der Absprachebulle, als wäre sie eine längst bekannte Sache? Ich muß mich wiederholen: Sie haben nur von Casanova darüber gehört, der sich auch noch bemüht hat, ihnen ein gedrucktes Exemplar zukommen zu lassen. Doch meine Verwunderung hat einen anderen Grund. Ausgehend von der Argumentation Perroni Paladinis bezüglich der berittenen Soldaten und der Briganten auf den Feldern kann die Absprachebulle, auf die der Baron anspielt, nichts anderes als jene Vereinbarung sein, von der wir schon gesprochen haben und die Pallotta in seinem Dizionario storico wie folgt definiert: eine geschäftliche Vereinbarung zwischen berittenen Soldaten und Ganoven, derzufolge der Bestohlene wieder in den Besitz seines Eigentums kam, wenn er die Anzeige zurückzog.
     Warum aber spricht Perroni Paladini von einer Bulle? Es ist absurd zu glauben, daß ein Vordruck existierte, auf dem die berittenen Soldaten auf der einen und die Briganten auf der anderen Seite von Mal zu Mal die jeweils wechselnden Bedingungen der Abmachung mit Feder oder Bleistift festhielten. Ich muß darauf beharren: Diese Art von Transaktion, die denjenigen kompromittierte, der auf gewisse Weise die öffentliche Ordnung repräsentierte, konnte nicht in Form eines Dokuments existieren. Was dann? Die einzige Möglichkeit ist folgende: Perroni Paladini ist ein Lapsus unterlaufen, und er hat etwas als Absprachebulle bezeichnet, das sicherlich eine Absprache, nicht aber eine Bulle war. Zwar wird der Baron die echte Absprachebulle im Kopf gehabt haben, doch es war nicht die, über welche er vor der Kommission sprach.
     Was die echte Absprachebulle war, das wußte der Generalleutnant Casanova sehr wohl. Andernfalls hätte er nicht die bewiesene Umsicht walten lassen. Hätte es sich um die Aufdeckung einer Vereinbarung in schriftlicher Form (wir nehmen das jetzt mal absurderweise an) zwischen einer hochgestellten Autorität und den Briganten gehandelt, hätte Casanova, da bin ich mir sicher, keinen Skandal befürchtet und die Angelegenheit ehrlich, wie er war, bei seinen Vorgesetzten angezeigt, selbst wenn er sich damit in eine schwierige Lage gebracht hätte. Deshalb war die Bulle – die gedruckte, das sei ausdrücklich betont –, die er dem Vorsitzenden der Kommission hatte zukommen lassen, etwas ganz anderes und so ungeheuerlich, daß der Verdacht einer bösen Täuschung hätte aufkommen können.
    Aber die von Casanova geschickte Bulle »fehlt«. Sie ist verschwunden. Fein säuberlich archiviert und katalogisiert hingegen sind solche Dokumente wie der Rapport über die totale Sonnenfinsternis des 22. Dezembers 1870 oder der Katalog der Leihbibliothek von Misilmeri (glauben Sie mir, ich erfinde das jetzt nicht), Schriftstücke also von allergrößter Bedeutung für die Untersuchung über das Brigantenwesen… Die Absprachebulle ist jedoch ganz geschickt wie eine Seifenblase geplatzt.

    13.

    In den Monaten vor und während der Anhörungen wurde die Kommission von einer wahren Flut von Briefen und Schriftstücken überschwemmt. Es handelte sich hierbei um Bittschriften, Anzeigen, Verwaltungsakten,

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