Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.
besser, gar nicht auf sie zu hören. Das ist dann ein einziges unflätiges Gerede und Gefluche.«
Diese einstimmig gewählte Linie haben sie dann auch streng befolgt; sie riefen diejenigen, die sich nicht an eine schlichte und bloße Darlegung der Tatsachen hielten, zur Ordnung oder beachteten sie erst gar nicht.
Und die Tatsachen, um mal die augenfälligsten zu nennen, konzentrierten sich auf öffentliche Ausschreibungen, die schamlos manipuliert waren; auf Staatsbeamte im Norden, die wegen vermeintlicher (oder nachgewiesener) Korruption in den Süden versetzt worden waren und auf der Insel paradiesische Zustände vorgefunden hatten; auf Rechtsadministratoren, die sich bei der Rechtsprechung nach ihrer Nase, dem Wind, einer Riesenschlamperei, dem Sturm, nie aber nach dem Bürgerlichen oder dem Strafgesetzbuch richteten; auf öffentliche Bauwerke, die aus Pappkarton gemacht zu sein schienen und am Tag ihrer Einweihung vor den mitschuldigen Bürgermeistern mit der breiten Bürgermeisterschärpe um den Bauch und vor ziemlich verdutzten städtischen Musikkapellen in sich zusammenfielen; auf leerstehende Schulen, in denen seit Urzeiten das Dach kaputt war; auf fehlende wiewohl geplante Krankenhäuser; auf Eisenbahnschienen, die sorgfältig studiert, nach strengsten Kriterien entworfen, pünktlich bezahlt und nie in Betrieb genommen worden waren; auf Brücken, die in der wirklichen Landschaft fehlten, doch auf der topographischen Karte klar und deutlich eingetragen waren; auf Landstraßen, die von einem Ort abgingen und sich im Nichts verloren; und so weiter. So ergab sich ein chaotisches Landschaftsgefüge, das ja, aber es war sozusagen ein pointillistisches Machwerk. Von weitem betrachtet, schien es seine inhärente Logik zu besitzen, aus der Nähe besehen, war es hingegen auf verwirrende Weise aus verschiedenen Abschnitten zusammengesetzt, die nicht nur untereinander keinen Zusammenhang aufwiesen, sondern obendrein auch manchmal im Gegensatz zueinander standen.
Die ehrenwerten Herren Kommissare hatten sich große Mühe gegeben, was um so schlimmer war: Im Laufe der Tage und der Begegnungen ähnelte der Wortlaut der Fragen und der Antworten immer mehr ungeordneten Stücken eines Mosaiks, dessen Vorlagebild abhanden gekommen war, Spielsteinen, die in den Schlamm der ungangbaren Landwege, in den rutschigen Matsch der Stadtstraßen, in die von übergelaufenen Senkgruben überschwemmten Gassen gefallen waren, denn seit dem ersten Tag der Untersuchung hatte es auf der Insel kein einziges Mal zu regnen aufgehört. Es gab keine Rettung, eine wahre Sintflut ging nieder; es genügte schon, daß jemand das nicht überdeckte Wegstück vom Wagen zu irgendeinem Regierungsportal rannte, und schon verlief für ihn die ganze Sitzung höchst ungemütlich, in triefender Kleidung, die nach nasser Wolle stank.
Jene Fakten, mit denen sie gerechnet hatten, waren in Wirklichkeit bedeutungslos, da sie völlig unzusammenhängend waren. Sicherlich mußte es aufgrund ihres Vorhandenseins, ihrer Darstellung, ein Bindeglied, einen Rahmen gegeben haben. Aber den Augen der Kommissare war dieser verborgen geblieben.
12.
Die Anhörung vom 26. Januar 1876 (eine der letzten, denn sämtliche Audienzen endeten am 29. desselben Monats) findet in Messina statt. Zur Aussage finden sich neben anderen der Druckereimeister und ehemalige Parlamentsabgeordnete Michelangelo Bottari und der Baron Francesco Perroni Paladini, Parlamentarier aus Castroreale, ein.
Bottari hat mit meinen Nachforschungen nicht unmittelbar etwas zu tun, doch wegen seines bitteren Schlußkommentars verdient er es, zitiert zu werden: »Sizilien hat keinen anderen Vorteil als den, die italienische Sprache um ein neues Wort ( maffia) bereichert zu haben.«
Mit dem Baron Perroni Paladini jedoch werden wir wieder über »die Absprache« reden. Reden ist übertrieben, der Baron macht lediglich eine flüchtige Andeutung, zu der nicht einer der Kommissare eine Erklärung verlangt. Seitdem der Generalleutnant Casanova am Anfang der Verhöre, d. h. zwei Monate zuvor, die Kommission über die Existenz der Absprachebulle in Kenntnis gesetzt hat, hat niemand mehr dieses Thema angeschnitten.
Perroni Paladini ist im Studium der Geschichte in seinem Element. Vor den erschöpften Kommissionsmitgliedern ergeht er sich in langatmigen Ausführungen über das Brigantentum auf den Feldern (angefangen bei den Sklavenkriegen) und über die Einrichtung der berittenen Miliz. Die Soldaten zu
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