Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.
Ansatz: »Wollen Sie, daß wir Ihnen eine Kopie zukommen lassen?« Aufgrund der Antwort des Generals wird ihm klar, daß er sich getäuscht hat; er streicht das Geschriebene durch und entziffert von neuem. Doch es handelt sich um ein Versehen, denn in Wirklichkeit verhält sich die Kommission so, als hätte sie bereits von der Bulle gehört. Das braucht man keineswegs zu dramatisieren. Wahrscheinlich hat der Generalleutnant bei Veranstaltungen und öffentlichen Empfängen schon im vertraulichen Rahmen Andeutungen darüber gemacht, bevor er dann offiziell verhört wurde. Es kann auch sein, daß irgendeiner der Kommissare von dem Dekret des ehemaligen Präfekten Tajani wußte, das den Verkauf der Bulle verbot. Doch die Unterredung hat in meinen Ohren dennoch einen Mißklang.
Es gibt einen Umstand, der mich richtig nervös macht, weil ich keine rationale Erklärung dafür finde. Ich habe geschrieben, daß die Bettelbulle, die von den Fratres an der Haustür verkauft wurde, mich bei meiner Untersuchung auf den rechten Weg gebracht hat. Und Casanova führt in seiner Aussage die Herkunft der Absprachebulle auf etwas zurück, das mit den Kreuzzügen und dem Historiker De Cesare zu tun hat; an einer bestimmten Stelle erklärt er, daß es in der Gegend von Neapel die Bulle der Kreuzzüge gäbe – die jedoch nichts mit der Absprachebulle zu tun habe. Kommt das vielleicht daher, daß bei den Kreuzzügen von vornherein ein Sondersündenerlaß genehmigt wurde? Wenn das stimmt, würde es die im folgenden dargelegte These über die zugleich prophylaktische Wirkung der Absprachebulle bekräftigen.
Die Blätter, auf denen mit zwei verschiedenen Schriften die Anhörung Casanovas protokolliert wurden, sind von der großen und breiten Sorte. Die Aussage des Generalleutnants umfaßt sechzig numerierte Seiten, und von der Absprachebulle ist auf den Seiten neununddreißig bis achtundvierzig die Rede.
Auf die Frage eines Kommissionsmitglieds hin, ob es in Sizilien ausreichend Wehrkräfte gäbe, lächelte der Generalleutnant kurz und begann zu rechnen. Die Sizilianer – sagte er – zählen zwei Millionen achthunderttausend, sie machen also ein Zehntel der Gesamtbevölkerung Italiens aus. Sondertruppen wie Carabinieri und bersaglieri, wie die Angehörigen einer Scharfschützentruppe genannt werden, mal ausgenommen, gibt es in Italien zweihundertachtzig Soldatenbataillons. Verläßt man sich auf die Prozentzahlen, müßte ich – fügte er hinzu – auf der Insel achtundzwanzig Bataillons unter meinem Kommando haben. In Wirklichkeit aber verfüge ich über einundvierzig. Wenige Tage nach seinem Verhör schrieb der Vorsitzende der Kommission an ihn, um von ihm den genauen Standort der Truppen zu erfahren. Er vergaß – offensichtlich – Casanova an die Übersendung der versprochenen Absprachebulle zu erinnern.
Am 25. November, dreizehn Tage nach seiner Anhörung, schickt Casanova die gewünschte Übersicht. Doch da er das Gespür eines Jagdhunds hat – von der Art, die ihre Beute nie losläßt –, schreibt er einen Begleittext von wenigen Zeilen:
»Ihrem ausdrücklichen Wunsch gemäß, habe ich hiermit die Ehre, Ihnen eine gedruckte Kopie der Absprachebulle zu übersenden, auf daß Sie der Kommission eine Abschrift davon vorlegen können, die meines Erachtens eine um so größere Authentizität erlangen würde. Wenn es Ihnen beliebt, können Sie mir dieselbe zurücksenden, sobald Sie keinen Bedarf mehr haben.«
»… die meines Erachtens um so größere Authentizität erlangen würde«: Genau hier kann ein Mißverständnis aufkommen. Casanova hat nicht die Absicht, eine Fälschung zu beglaubigen, er will vielmehr eine noch gründlichere Überprüfung, um jedwegen Verdacht der Täuschung aus dem Weg zu schaffen.
Und hier muß ich behutsam weitermachen. An den Fuß dieser Briefkopie setzten die Herausgeber des Berichts vier Noten. Die erste Fußnote bezieht sich auf die Position im Archiv: Akte 8, Reihe E, Nummer II; die zweite auf die von Casanova zugesandte Bulle. Sie besagt ganz lapidar: »Fehlt«. Die dritte verweist auf die graphische Aufstellung der Truppen: »Wird nicht veröffentlicht«. Die vierte und letzte ist ein Vermerk, den ein Unbekannter im selben Brief gemacht hat: »Bulle zurückgegeben, 5. Dezember«.
Uns interessieren die zweite und die vierte Fußnote. Die Bulle der »Schlichtung«, die vom Generalleutnant übersandt worden war, kann sich nicht mehr im Anhang des Briefs befinden, denn die Randbemerkung
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