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Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.

Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.

Titel: Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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Lokalverwaltung« aufstellen. Man muß vielmehr nach den »Ursachen« des Übels suchen und sich nicht darauf beschränken, die Symptome desselben heilen zu wollen; »das Problem«, schreibt Stocchi, »ist nicht nur ein administratives, sondern ebenso ein politisches, und mehr noch als das ist es ein soziales, und zwar grundsätzlicher und herausragender Natur. Es nicht unter diesem Gesichtspunkt zu sehen und zu erforschen, bedeutete meiner Meinung nach, sich in einem Teufelskreis zu drehen und unnötige Kraftanstrengungen bis zur völligen Erschöpfung zu machen.« Die vierzehn Briefe, die er daraufhin an die Gazzetta schickt, tragen folgende Überschriften: 1) Der Problemstand, 2) Die soziale Frage – Das religiöse Element, 3) Die soziale Frage – Das wirtschaftlich Element, 4) Die soziale Frage – Das politische Element, 5) Die Mafia, 6) Das Brigantentum und die Viehräuberei, 7) Der Familienhaß und die Racheakte, 8) Die berittenen Soldaten, g) Die Prozesse, 10) Die Stadtverwaltungen, n) Die sizilianische Frau, 12) Die Abhilfen, 13) Die Abhilfen, 14) Die Abhilfen. Alle sind mit dem Pseudonym »Fly« unterzeichnet.

    Daß Herr Professor Stocchi ein genialer Mensch ist, beweist allein schon das Thema des elften Briefs, La donna siciliana (Die sizilianische Frau). Die Frau hat bei keiner Untersuchungskommission, weder parlamentarischer noch privater Art, jemals Beachtung gefunden. Die sizilianische Frau – schreibt Stocchi – ist ein pures und simples Lustinstrument – und das selbstverständlich nur im trauten Heim. Im Kreis der Familie (die der Mann roh und ungeschlacht liebt) wird die Frau als Liebesobjekt zur wichtigsten Stütze, zum Dreh- und Angelpunkt des Alltagslebens: Sie hängt ihrerseits vollständig von dem Einfluß ab, den die Pfaffen »vermittels des Beichtstuhls und hundert anderer religiöser Praktiken auf sie ausüben«.
     Zwangsläufig muß die »Ursachenforschung« auch auf die verschlossene Struktur der sizilianischen Familie eingehen – behauptet Stocchi –, denn in ihrem Schoß entspringen unzählige Bluttaten, die wiederum den Anfang einer langen Verbrechenskette machen.
     Man braucht sich nur das Verhalten der Familie vor Augen zu halten, wenn der Sohn oder der Bruder zum Militärdienst einberufen wird; das Ereignis wird als verletzender Eingriff in die Familienstruktur erlebt: »Die Tage der Musterung und der Tauglichkeitsuntersuchung gelten als Tage tiefster Trauer, genau wie beim Tod eines nahen Anverwandten. Die Familie verläßt das Haus nicht, der schulpflichtige Nachwuchs darf nicht zur Schule, die Väter und Brüder begleiten den Einberufenen mit größerem Schmerz, als wenn sie ihm das letzte Geleit geben würden.«
     In sehr vielen Fällen ist die Flucht, die Verweigerung ratsamer; eine andere Methode ist, den zukünftigen Rekruten durch Schwächung und Entbehrungen an die Schwelle des Todes zu bringen, so daß er zwangsläufig ausgemustert werden muß. Tatsache ist, daß die Geburten in den Jahren unmittelbar nach der Gründung des Nationalstaates um mindestens fünfunddreißig Prozent sanken. Es kam damals die Redeweise auf: »Jetzt hat man uns auch noch die Lust am Ficken genommen«, wobei Ficken nur in der häuslichen Intimität und sicher nicht als rein sexuelles Vergnügen zu verstehen war.
     Bildhaft beschreibt Stocchi die schreckliche Arbeitsqual des Feldarbeiters, des Tagelöhners, der gerade soviel verdient, daß es zum nackten Überleben reicht. Eine »lächerliche« Bezahlung, nennt der Professor das, für die der Arme einen gnadenlosen Boden bearbeiten muß, der ihn buchstäblich zwingt, seinen Padrone oder »unersättlichen Verpächter« zu hassen. Und wenn er in die miserable Behausung heimkehrt, in der seine Familie lebt – ein Loch, das oft der Höhle eines wilden Tieres gleicht –, kommt er nicht umhin zu denken, daß vielleicht das Brigantentum eine Lösung für seinen Zustand sein könnte. Die Absprachebulle wird ihn auf jeden Fall von der Schuld vor Gottes Antlitz freisprechen, denn der Herr im Himmel ist gerecht und kann nicht zulassen, daß ein Mann unter den Stand eines Wildtiers sinkt.

    Ich kann hier nicht auf sämtliche Punkte eingehen, die Stocchi anspricht und von denen einer wohldurchdachter ist als der andere: Was die »Ursachenforschung« betrifft, muß man sich jedoch seine Analyse der Denkweise und Logik der herrschenden Klasse, der überheblichen Bürger und der Adligen, die mit den Räubern ihre Absprachen treffen und oft mit ihnen

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