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Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.

Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.

Titel: Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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Gerichtsurteile, Berichte, Steuerbescheide, Satzungen von Privatzirkeln, Bilanzen über fromme Werke: ein unendlicher Katalog von Beschwerden, erlittenen Übergriffen, erduldeten Dreistigkeiten, Ungerechtigkeiten, gegen die die Kommission nach Meinung der Bittsteller Abhilfe schaffen sollte. Hunderte von anonymen Briefen wanderten umgehend in den Papierkorb. Doch unter diesen Papieren befanden sich auch solche aus der Feder von Personen, die den Kommissaren auf uneigennützige Weise zu Hilfe kommen und sie von den Ergebnissen der auf eigene Faust durchgeführten Ermittlungen unterrichten wollten. In jenen Jahren war es beinahe Mode geworden, Untersuchungen über die Insel anzustellen – nicht nur von seiten der Regierung und der Kammern (zwei Mitglieder der Kommission waren bereits wegen spezifischer Ermittlungen in Sizilien gewesen), sondern auch Journalisten, Privatbürger und Angehörige des Kulturwesens wurden diesbezüglich aktiv. Beispielsweise der Professor Giuseppe Stocchi, der, zumindest in unseren Augen, jener wie eine Seifenblase geplatzten Absprachebulle wieder zu Gewicht und Bedeutung verholten hat. Und was für ein Gewicht. Und was für eine Bedeutung.
     Bevor wir weitermachen, sagen wir es rundheraus: Die Abmachung (um es noch einmal zu wiederholen, die gesetzwidrige Übereinkunft zwischen Briganten und Polizisten) ist nichts anderes als die weltliche und in gewissem Sinn verfälschte Version der authentischen und ursprünglichen Absprachebulle. Sie beinhaltet eine unglaubliche, offiziell vom Klerus (»Bulle«) aufgestellte Tabelle über die Prozentsätze, die für die jeweiligen Verbrechen an die Kirche zu zahlen waren. Der Erwerb der Bulle durch die Delinquenten war gleichbedeutend mit der Unterzeichnung einer Vereinbarung.
     Das erklärt also, warum Casanova befürchtet, bei den anderen auf Ungläubigkeit zu stoßen, wenn er davon spricht.

    Zwischen August und September des Jahres 1874 veröffentlicht die Zeitung La Gazzetta d’Italia vierzehn Briefe des Professors Giuseppe Stocchi, die unter der Überschrift: Sulla pubblica sicurezza in Sicilia (Über die öffentliche Sicherheit in Sizilien) zusammengefaßt wurden. Diese Schreiben greifen eine Polemik auf, die durch eine Notiz des Parlamentsabgeordneten, Fürst von Belmonte, an das Innenministerium entfacht worden war. Ein Publizist der Gazzetta unterstützt Belmonte und zählt in sieben Artikeln die notwendigen Maßnahmen auf, um den »babylonischen Zuständen im moralischen und politischen Bereich« und dem »traurigen Spektakel, das die sizilianische Bevölkerung durch ihre moralische Verkommenheit und das vollständige Wirrwarr ihrer Verhaltensmuster abgibt« ein Ende setzen zu können.
     Diese Maßnahmen sind – den Namen des Artikelschreibers weiß ich nicht und will ihn auch gar nicht wissen; ich bin kein Historikerkopf, wie schon gesagt – die folgenden:

    - sorgsame Auswahl der Funktionäre in Führungspositionen, die nicht nur auf der Höhe ihrer Verwaltungsaufgaben, sondern gleichzeitig vertrauenerweckende Personen sein sollen - neues Reglement der berittenen Miliz
    - genaue Abgrenzung des Aufgabenbereichs der Sicherheitskräfte, deren Koordinierung allein dem Kommando des Präfekten untersteht
    - »die Feldpolizei muß entsprechend strukturiert sein« - Besetzung der rechtsprechenden Magistratur mit Sizilianern, die aus den nördlichen Provinzen zurückgerufen wurden
    - Distanzierung der Präfekte, ihrer Stellvertreter und der Quästoren von der »schlimmen« Cliquenwirtschaft vor Ort - Aufstellung unmißverständlicher Verhaltensregeln, die allen Angestellten auferlegt werden

    An dieser Stelle ist Professor Stocchi, der vom positivistischen Historismus durchdrungen ist und seit einigen Jahren das Rektorenamt des strengen wiewohl fortschrittlichen königlichen Gymnasiums »Ciullo« in Alcamo bekleidet, platt vor Staunen, obgleich er mit den Forderungen des verehrten Schreibers übereinstimmt. Wie soll das angehen?!!

    Wenn die Voraussetzungen die der »babylonischen Zustände im moralischen und politischen Bereich« sind und die Rede von »moralischer Verkommenheit« ist, wie können dann diese sieben Maßnahmen eine Wirkung auf das schwere und weitläufige Moralproblem haben, von dem die Überlegung ausging?
     Diese Maßnahmen – so argumentiert Professor Stocchi – sind wie heiße Wadenwickel, die den Kern des Problems nicht einmal berühren und lediglich einige sakrosankte Regeln für »eine gute und weise

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