Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.
erschien an jedem Weihnachtsmorgen Schlag fünf – Padre Pirrotta hatte nicht einmal Zeit, seinen Platz einzunehmen – Tano Fragalà. Er kam ohne jede Verstellung, tat auch nicht so, als müsse er die Beichte ablegen, und baute sich vor dem Pfarrer auf – längst wußte das ganze Dorf über sein Anliegen Bescheid.
»Gibt es dieses Jahr Neuigkeiten mit der Bulle?«
Der Pfarrer atmete tief durch und erklärte geduldig: »Nein, es gibt nichts Neues. Es gibt die Abmachung für Diebstahl, und Ihr habt noch nie auch nur einen Tari geklaut. Es gibt die Abmachung für sittenloses Verhalten, und Ihr habt der guten Seele von Ehefrau noch nie Unrecht zugefügt. Dann gibt es die Abmachung für Lügenmärchen, und Ihr habt immer die Wahrheit gesagt. Laßt es gut sein, Don Tano, das, wonach Ihr sucht, wird nie in die Bulle aufgenommen werden.«
Und Tano Fragalà machte sich wieder auf den Weg zu seinem flachen Steinhaus auf der Punta Capizzi; er brauchte eine Stunde, um nach Vigàta hinunterzugelangen und eineinhalb Stunden für den Heimweg steil bergauf.
Von Luzzo Pagliuca hieß es, er habe ein zehnjähriges Mädchen vergewaltigt und es hinterher abgestochen wie ein Opferlamm; vor zehn Jahren nun hatte er Don Tanos Sohn Santino wegen einer lausigen Handvoll Grenzsteine, die zwischen seinen Acker und den von Don Tano gerutscht waren, den Kopf eingeschlagen und ihn auf der Landstraße liegenlassen. Dort hatte sein Vater ihn gefunden, doch jede Hilfe kam zu spät: Der Bursche war zwei Stunden später tot, ohne zuvor sagen zu können, wer sein Mörder war. Mit dem Kopf und den Augen machte er jedoch, bevor er starb, verzweifelte Zeichen in Richtung Luzzos Haus, und ein Vater begreift auch ohne Worte, was der Sohn ihm sagen will. Außer sich hatte der nach der Heppe gegriffen und wollte sich gerade auf den Weg machen, als seine Frau Maria, die noch neben dem Sohn kniete, um ihm die Augen zu schließen, laut ausrief:
»Tano! Denk an die Hölle! Bring deine Seele nicht in Verdammnis!«
Schlagartig hatte er innegehalten und das Hackmesser fallen lassen.
Dem stellvertretenden Kommissar Cumbo hatte Luzzo Pagliuca erklärt, daß er an dem Tag, an dem Santino ermordet wurde, gar nicht in Vigàta gewesen sei, sondern zwei Freunde in Fela aufgesucht habe, die das im Bedarfsfall auch bezeugen könnten. Und so konnte sich Luzzo jedesmal, wenn er Tano begegnete, den Luxus leisten, ihm unverschämt ins Gesicht zu grinsen. Keine sechs Monate waren seit dem Trauerfall vergangen, als auch die Signora Maria vom Schmerz dahingerafft das Zeitliche segnete. Und seit dem Augenblick war Tanos einziges Sinnen und Trachten darauf gerichtet, Pagliuca umzubringen, ohne dafür im Fegefeuer schmoren zu müssen. Die einzige Möglichkeit wäre die Absprachebulle gewesen, doch von Mord stand nichts auf dem Papier. Das erste Mal, als er tatsächlich beichten ging, hatte er Padre Pirrotta gefragt, ob man hoffen dürfe, daß es eines Tages eine Absprache für einen gerechten und sakrosankten Mord gäbe. Der Priester war dermaßen in Rage gekommen, daß er ihm die Absolution verweigert hatte.
Es waren nur noch wenige Minuten bis sieben Uhr früh am Dreikönigstag, und Padre Pirrotta erhob sich gerade aus dem Beichtstuhl, um in die Sakristei zu gehen, als er die Stimme von Tano Fragalà hörte, der ihm vom Kircheneingang aus zurief, noch einen Augenblick zu warten. Als der Padre in seiner Reichweite war, platzte er heraus: »Ich hab’s Euch doch schon vor dreizehn Tagen gesagt! An Weihnachten! Es gibt nichts in der Bulle, was für Euch von Interesse wäre! Ihr habt einen Schädel wie aus Granit! Schlimmer als ein Esel!«
»Macht schnell und gebt mir eine.«
Padre Pirrotta hielt verblüfft inne.
»Ist das immer noch wegen derselben Angelegenheit?« fragte er verunsichert.
»Ja, genau.«
»Aber diese Sache steht nicht in der Bulle, was wollt Ihr bloß! Und wenn sie darin wäre, würde sie soviel kosten wie die ganze Schöpfung!«
»Eine reicht vollauf.«
Völlig vor den Kopf gestoßen reichte Padre Pirrotta ihm mit einer Hand die Bulle, und mit der anderen kassierte er das Geld ein.
Tano wartete geduldig an seinem Tischchen im Weinausschank von Toto Bellomo auf die Stunde, da Luzzo Pagliuca auf die Minute genau auftauchte, um sich das erste Viertel des Tages zu genehmigen. Und in der Tat: Um Punkt acht trat Luzzo ein und grinste Tano spöttisch an. Um acht Uhr und zwei Minuten trank er den ersten Becher. Um acht Uhr und
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