Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.
von Ixion, einen älteren Mann, umzubringen, der dem Mädchen praktisch wie ein Vater gewesen war. Der junge Kerl Antemios hat zwar gerade erst die ersten Schritte auf dem Gebiet des Mordhandwerks gemacht, doch das bereits mit so großer Begeisterung, daß der erfahrene und ältere Aristogiton, der sich dem Morden gegenüber längst ein dickes Fell zugelegt hat, ihn zu dem Auftrag mitnimmt, genau wie den Laufburschen einer Werkstatt. Doch als der Onkel die beiden vor sich sieht und begreift, woher der Wind weht, ist er keineswegs bereit, sang- und klanglos aus dem Leben zu scheiden: Er schreit, wirft Hocker und Triklinien durch die Gegend, tritt um sich und zerreißt die Vorhänge. Aristogiton muß seine ganze mühsam erworbene Erfahrung aufbringen, um den Alten in eine Ecke zu drängen, ihn mit Hilfe von Antemios zu packen und ihm schließlich die Gurgel durchzuschneiden. Nach erledigtem Auftrag ist Antemios todmüde und spürt seine Beine schwer wie Blei. Er wirft sich zu Boden, wischt sich den Schweiß ab und ruft aus:
»O nein, wußt’ ich’s doch, beim Schweinegott!, daß man beim Töten ins Schwitzen kommt.«
Ich aber weiß nur allzu gut, warum ich diese zwei Verse seit rund fünfzig Jahren im Kopf habe: Der erste Grund ist die Erinnerung an mein Zusammenzucken, als ich zum erstenmal las, daß die Athener zur Zeit des Perikles, in welcher das Drama spielt, dank des Cavaliere Artidoro Scibetta mit fünf Jahren Vorsprung den Namen und die Missetaten des Erzverräters kannten; der zweite ist die sich allmählich herauskristallisierende Bestätigung der Wahrheit (ein Crescendo über Jahre hinweg, nachgezeichnet anhand von Erzählungen und Abbildungen von Gewalttoden, Massakern und so aufwendig wie phantasievoll verübten Morden), die Antemios am eigenen Leibe erfahren durfte: nämlich daß Töten weder ein einfaches noch ein geruhsames Unterfangen ist.
Besonders lebhaft erinnere ich mich an einen Beweis dieser Tatsache, der jedoch, wie man so schön sagt, in den Bereich der Kunst gehört: Joseph Chaikin und Claude van Itallie zusammen mit dem Open Theater haben ihn mir Ende der sechziger Jahre geliefert. Die Vorstellung mit dem Namen The Serpent lehnte sich an die Genesis an und erzählte die Geschichte der Mißgeschicke, die dem Menschen widerfuhren, weil er der Schlange vertraut hat: Es war deshalb nicht nur unvermeidlich, sondern auch notwendig, daß der Augenblick kam, da Kain seinen Bruder Abel tötet. In der Aufführung von Chaikin bewies Kain zwar die besten Absichten, Abel umzubringen, aber im Grunde genommen wußte er nicht, wie er das anstellen sollte: Er versuchte es damit, ihm den Arm zu brechen, doch Abel stand einfach nur verdutzt da, und sein Arm hing merkwürdig an ihm herunter (man bedenke, Kain verstand sich nicht aufs Töten, Abel sich jedoch auch nicht aufs Sterben); dann brach er Abel ein Bein, und der fiel auch tatsächlich hin, begann aber, am Boden entlangzukriechen. Schließlich brach er ihm den anderen Arm und das andere Bein, doch Abel war immer noch am Leben, auch dann noch, als ihm ein Auge fehlte und er alle Zähne ausgespuckt hatte. Die Erfindung des Mords war für Kain eine langwierige und mühselige Angelegenheit, bei der Kraft und Verstand gleichermaßen gefordert waren: Als er endlich naßgeschwitzt und schwer atmend am Ziel war, fiel er – genau wie Antemios – wie tot – toter als Abel, der endlich tot war – zu Boden.
Gewiß hat der wissenschaftliche Fortschritt die Dinge stark vereinfacht; aus der Entfernung auf jemanden zu schießen, ist sehr viel bequemer geworden – auch hinsichtlich des Zeitaufwands –, als ihn mit einem Messer oder noch schlimmer mit mehr oder weniger bloßen Händen umzubringen.
Die Dinge werden wiederum kompliziert, wenn es darum geht, die Ermordung Tausender von Personen zu organisieren, auch wenn dafür die sogenannte Fortschrittstechnologie zur Verfügung steht. Die Fachleute auf diesem Gebiet haben uns im Verlauf von Geständnissen und Zeugenaussagen erzählt, daß als allererstes die Zeit zu berechnen sei (einen Mann in Handschellen zu zwingen, sich niederzuknien und den Kopf für den erforderlichen Pistolenschuß entsprechend zu neigen, verlangt ungefähr drei kostbare Minuten; greift jedoch noch ein Priester oder ein anderer Seelentröster ein, verdreifacht sich die Zeit), dann das genaue Zahlenverhältnis zwischen Exekutor und zu Exekutierendem (oder zu Ermordendem, je nachdem, wie man die Sache sieht). Anschließend müsse
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