Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.
verkaufen. Der Verkauf dauerte täglich bis sieben Uhr, und am Dreikönigstag war dann Schluß. Der Priester nahm an jenen Tagen in einem der zwei Beichtstühle der Kirche in Vigàta Platz, zog die Sichtvorhänge zu, damit er ja nicht das Gesicht des Käufers erkennen konnte, und wartete auf Kundschaft für die Absprachebullen.
Die Frauen, die in den beiden Stunden zur ersten und zweiten Frühmette von Padre Jacolino kamen, nahmen vorsichtig in einer Position Platz, von wo aus ihr Blick unter keinen Umständen den Beichtstuhl streifte. »Wer weniger weiß, lebt länger und gedeiht besser«, lautet ein Sprichwort, und das ist eine heilige Regel, vor allem dann, wenn die Dinge, die man erfährt, in großer Runde bekannt werden: Dann kann man nicht mehr nach eigener Fasson leben, sondern muß achtgeben, was die anderen sagen. Und unter diesen anderen kann immer mal ein Plappermaul sein, das den Mund nicht halten kann und einen ruiniert. Genau aus diesem Grund blickten die Frauen nicht hin und taten nicht selten so, als suchten sie ihren Rosenkranz oder ihr Kopftuch, damit die Männer sich bequem Zeit lassen konnten. Jeder Käufer einer Bulle brauchte ziemlich lange Zeit, denn es ging ja nicht bloß darum, zu zahlen und das Stück Papier, das der Pfarrer unter dem Gitter hindurchschob, in die Hosentasche zu stecken. Zuallererst war da das Problem der Geheimhaltung. Wer sich dort einfand, um die Bulle zu erwerben, hatte keinerlei Interesse daran, erkannt zu werden, da er ein Delinquent war oder im Begriff war, einer zu werden. Der Käufer kniete nieder, wie um zu beichten, und redete entweder so leise, daß der Pfarrer sich die Fragen mehrmals wiederholen lassen mußte, oder er verstellte seine Stimme derart, daß Pirrotta glaubte, unter den Arabern zu sein.
Weil nun die Kunden allesamt Analphabeten waren, mußte der Pfaffe viel erklären und gut rechnen. Die Dinge waren nie einfach: In den zwanzig »Titeln« der Absprachebulle (die eine Lire und dreizehn kostete und dem Käufer die Möglichkeit verschaffte, ruhigen Gewissens gestohlene Ware im Wert bis zu zweiunddreißig Lire und achtzig zu behalten) wimmelte es nur so von Korruption, Diebstahl, Viehraub, Ehebruch, Meineid, Überfall und anderen Schuldbegehen und Verbrechen, und diese überkreuzten sich untereinander auf so phantasievolle Weise, daß Padre Pirrotta sich gezwungen sah, den weisen Führer durch diese Mäander zu spielen.
»Sprechen wir Latein, klipp und klar. Wie hoch war der Gewinn?«
»Zweiunddreißig Lire.«
»Haargenau?«
»Hmm, nein. Und neunzig Centesimi.«
»Also dann bedarf es hier zweier Bullen.«
»Nur wegen zehn Centesimi?«
»Ja, der Herr.«
»Und was mache ich mit der Differenz?«
»Die hebt Ihr Euch für ein andermal auf.«
»Und wenn ich die zehn Soldi als Almosen verteile?«
»Ihr braucht trotzdem zwei Bullen. Die Differenzsumme gehört nicht Euch, wollt Ihr das nun begreifen oder nicht, Herrgott noch eins!?«
»Und wenn ich sie dem Besitzer zurückgebe?«
»Bravo! Der wird Euch dann anzeigen, und Ihr wandert ins Gefängnis. Die Bulle schützt schließlich nur Eure Seele.«
Manchmal waren die Unterredungen noch eine Spur verwickelter; Padre Pirrotta war es, als dränge er von Frage zu Frage immer tiefer ins Tal von Giosafatte ein, wo es, wie man sagt, immer rauchig und neblig ist.
»Sprechen wir Klartext. Du bist gerade dabei, deinen Weinberg zu hacken, als plötzlich die fremde Frau vor dir steht. Du wußtest, was sie von dir wollte?«
»Das hatte sie mir bereits zu verstehen gegeben. Seit zwei Tagen lauerte sie mir bei der Arbeit auf und glotzte mich an.«
»Ist gut. Und mit der Ausrede, daß sie sich am Bein verletzt habe, hat sie sich von dir hochheben und in einen Heuhaufen tragen lassen. Stimmt das so?«
»Ja, genau. Und hinterher hat sie mir zwanzig Lire gegeben.«
»Und das ist der Knackpunkt. Weißt du, ob sie reich ist?«
»Sie ist immer mit Ringen, Ketten und Armbändern behängt.«
»Verrätst du mir etwas: Du wußtest, daß sie reich war, und als du dich mit ihr im Heu vergnügtest, ist dir da nicht in den Sinn gekommen, daß etwas für dich dabei herausspringen könnte?«
»Nun, hm…«
»Also ja oder nein? Vergiß nicht, wir sind in einem Beichtstuhl.«
»Ja, ja.«
»Also dann bedarf es hier der Bulle. Oder besser noch, nimm gleich drei oder vier, ich bin mir sicher, daß dieser Dame das Bein noch mehrmals weh tun wird.«
Und seit zehn Jahren
Weitere Kostenlose Bücher