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Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.

Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.

Titel: Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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drei Minuten kehrte er Fragalà den Rücken zu. Um acht Uhr und vier Minuten lag er auf dem Boden mit einem Fleischerhaken in der Gurgel, und aus dem aufgeschlitzten Fleisch rannen Blut, Wein und Leben.
     »Und dank mir auch schön«, sagte Tano Fragalà zum Toten, während er den Fleischerhaken wieder an sich nahm, den der Metzger ihm geliehen hatte, »daß ich dir ein langes Sterben erspart habe.«
     Kommissar Cumbo ging zusammen mit einem Wachsoldaten zur Hütte auf die Punta Capizzi, um ihn zu verhaften. Tano, der sein Häuschen aufgeräumt hatte, schien geradezu erfreut, die beiden zu sehen. Da sie die Steigung im Eilschritt zurückgelegt hatten, waren sie außer Atem.
     »Wenn Ihr gestattet, ruhen wir uns ein wenig aus«, meinte Cumbo, »dann steigen wir schön alle drei nach Vigàta hinunter.«
     »Darf ich Euch ein Glas Wein anbieten?« fragte Tano. Die beiden nahmen dankend an. Beim Trinken sah der Kommissar, wie Fragalà stille Tränen übers Gesicht liefen.
     »Nehmt Euren Mut zusammen«, sagte er voller Mitleid, »vielleicht habt Ihr im Gefängnis mehr Gesellschaft, als Ihr in der letzten Zeit hier gehabt habt.«
     »Das ist es nicht.«
     »Also, was ist es dann? Habt Ihr Gewissensbisse? Don Tano, wir sind unter Freunden und können offen reden. Ich bin immer überzeugt gewesen, daß Luzzo der Mörder Eures Sohns war, aber ich konnte nichts ausrichten, mir fehlten die Beweise. Dieser Ruchlose, war das etwa ein Mann? Eine Bestie, ein Schwein war das.«
     Ein breites Lächeln überzog Fragalàs Gesicht. Es fehlte nicht viel, und er wäre Cumbo um den Hals gefallen.
     »Und auf welche Weise habe ich ihn getötet? Habe ich ihn etwa nicht wie ein Schwein abgestochen, mit einem Metzgerhaken? Und ich habe ihn auch als Schwein schätzen lassen: Er wog achtzig Kilo und war ganze zehn Lire wert. Ich kann noch zwei andere wie Luzzo umbringen, und mir bleiben immer noch achtzig Centesimi übrig.«
     »Was ist das für ein Schwachsinn!« entgegnete der stellvertretende Kommissar. »Einverstanden, was die Schätzung angeht, Luzzo war nicht einmal zehn Lire wert, denn das abgestochene Schwein kannst du wenigstens hinterher essen. Doch bleibt die Tatsache bestehen, daß Ihr einen Christenmenschen getötet habt.«
     Mit dem Zeigefinger bedeutete Tano ein Nein.
     »Wollt Ihr jetzt etwa behaupten, daß Ihr ihn nicht umgebracht habt?«
     »Habt Ihr die Todesanzeige des Advokaten Sciaino gesehen, die an der Mauer klebt?« fragte Tano mit Fuchsblick.
     »Was hat die denn damit zu tun?«
     »Eine ganze Menge. Heute früh sah ich diese Todesanzeige in Vigàta. Ich kann aber weder lesen noch schreiben, und genau deshalb weinte ich vor einer Minute. Denn hätte ich lesen und schreiben können, hätte ich Luzzo viel eher beseitigt. Der Maestro Contino war gerade in der Nähe, und ich habe ihn gebeten, mir vorzulesen, was dort auf dem Anschlag geschrieben stand. Und schon die ersten Worte, die er mir vorlas, hakten sich in meinem Hirn fest: »Dem Kreis seiner lieben Angehörigen wurde genommen…« – »Genommen! Geraubt! Entwendet! Habt Ihr verstanden, Kommissar? Ich habe die Beine unter die Arme genommen und bin in die Kirche gerannt – denn hätte ich es nicht rechtzeitig geschafft, hätte ich noch ein weiteres Jahr warten müssen – und habe die Bulle gekauft, worin es um jede Art von Diebstahl geht. Ich habe Luzzo nicht umgebracht, ich habe Luzzo nicht mal zu Gesicht gekriegt. Ich habe nur ein Schwein gestohlen, und dem Schwein habe ich das Leben genommen, wie es auf dem Aushang an der Mauer steht.«
     »Aber jemanden als Schwein zu bezeichnen ist eine Metapher!« trumpfte Cumbo auf, der ein belesener Mann war. »Und zu sagen, jemand wurde aus dem Kreis seiner lieben Angehörigen genommen, ist ebenfalls eine Metapher.«
     »Metapher hin oder her«, erwiderte Tano Fragalà vergnügt, »ich habe jetzt ein reines Gewissen.«

    18.

    Ich habe mich von meiner Phantasie und Erfindungslust treiben lassen, vielleicht ist das in einem so ernsthaften Rahmen ungehörig; aber es war wie ein Drang, mich selbst zu schützen, ein vergeblicher Fluchtversuch.

    Wenn ich mich an diese Untersuchung gemacht und sie aufgeschrieben habe, dann vor allem, weil es mir angebracht erschien, selbst mit einer Verspätung von über hundertdreißig Jahren zwei Personen eine Antwort zu geben, die versucht hatten, sich ein klares Bild von gewissen schwerverständlichen Vorgängen in der Seele meiner Landsleute zu machen. Auch wenn das

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