Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.
neben zahlreichen weiteren Einzelheiten die Menge der Fahrzeuge zum Abtransport der Leichen bestimmt werden, außerdem die Art und Weise ihrer Beseitigung (mit Benzin verbrennen, mit Bulldozern in den Boden stampfen u. a.).
Aus diesem Grund brauchte der Hauptverantwortliche der »Endlösung«, der Obersturmbannführer Adolf Eichmann, bei seinem Prozeß eine Spur von Stolz in der Stimme nicht zu verbergen und zwar zu Recht: Er hatte im großen Stil, auf Millionenebene gearbeitet, ohne einen Fehler zu begehen oder begehen zu lassen, sei es unter logistisch-organisatorischen, sei es unter menschlichen Gesichtspunkten. Er gestand jedoch, daß er bei der wissenschaftlichen Planung der Vernichtung von sechs Millionen Personen wahrhaft ins »Schwitzen« gekommen sei.
Für seinen sehr viel bescheideneren Teil mußte der Hauptmann Sarzana kaum schwitzen, um in der Nacht vom 25. auf den 26. Januar 1848 die einhundertvierzehn Personen auf einen Schlag und mit sozusagen »hausbackenen Mitteln« umzubringen.
Im Dezember des Jahres 1847 erhält Gaetano Attard, der zum stellvertretenden Bürgermeister in der Außenstelle der Gemeindeverwaltung von Girgenti, Borgata Molo, ernannt worden war, vom Gerichtsvorsitzenden des Provinzgerichts, Giovanni Mendola, das Register der Sterbeurkunden für das Jahr 1848 (mit derselben Sendung werden ihm auch die Geburtsurkunden zugesandt, doch hier sollen leider keine Geschichten über Geburten erzählt werden). Da nun im Dezember 1847 das denkwürdige Jahr 1848 nicht nur für die Einwohner der Borgata noch ganz und gar gelebt und durchgestanden werden muß, könnte leicht der falsche Eindruck entstehen, daß sowohl Gaetano Attard – der den Antrag auf Beglaubigung von fünfzig Formblättern für den Eintrag von hundert Toten, einen pro Blattseite, gestellt hat – als auch Giovanni Mendola – der diese hundert Blattseiten fein säuberlich abgestempelt und versiegelt hat – über beunruhigend hellseherische Fähigkeiten verfügten – dieselben, die laut Guglielmo di Figueira den Stauferkaiser Friedrich II. in die Lage versetzten, »vorher das zu wissen, was hinterher geschah«. Die Wahrsagerei (zu verstehen jedoch als »Ratespiel«) ist die Übung, zu der in Italien sowohl der Magistrat als auch der mehr oder weniger staatliche Beamte neigen, doch in unserem Fall muß zwangsläufig gesagt werden, daß die zwei nichts anderes taten, als mit Kalkül der Macht der Gewohnheit und der Erfahrung zu folgen. Für den Fall außerordentlicher (doch dann auch wieder nicht so außerordentlicher) Vorkommnisse wie Naturkatastrophen, Verheerungen oder Epidemien hatte man für das Einfügen von Zusatzseiten an eine leicht herauslösbare Registerbindung gedacht.
Auf den ersten Blick und mit der irritierenden Überheblichkeit der Nachfahren, die im Gegensatz zu Friedrich II. den Vorteil haben, erst nachher zu erfahren, was zuvor geschehen ist, ließe sich behaupten, daß Gaetano Attard gewaltig danebengehauen hat, zählten doch die Toten in Borgata Molo im Jahr 1848 genau zweihundertneunzehn. Doch sieht man genauer hin, kommt einem der Fehler nicht mehr ganz so groß vor, und wenn man ganz genau hinschaut, lag überhaupt kein Fehler vor. Im Gegenteil. Wie von Attard vorhergesehen, waren es hundert Tote, keiner mehr und keiner weniger (darunter fünfunddreißig Kleinkinder, die das erste Lebensjahr nicht überlebten, und einunddreißig weitere Knaben und Mädchen unter zehn Jahren – eine Feststellung, die einem den kalten Schweiß den Rücken herunterlaufen läßt). Zu den hundert, unter denen sich also nur vierunddreißig Erwachsene befanden, kamen noch fünf auswärtige Tote hinzu: Drei waren an bösartigen Pocken auf vor Anker liegenden oder vorbeiziehenden Schiffen verstorben; die anderen zwei waren mit Schnittwaffen getötet in der Umgebung von Borgata Molo aufgefunden und nie identifiziert worden.
Zum Total von zweihundertneunzehn fehlen also einhundertvierzehn: Und eben um die hat sich der Hauptmann Sarzana gekümmert.
Nicht immer trug Borgata Molo diesen Namen. Als Agrigent zu Zeiten der Griechen als Akragas oder als Agrigentum unter den Römern bekannt war, war die Borgata vielleicht der letzte und unauffälligste einer dichten Kette von Handelsplätzen, die sich ab dem Ortsviertel San Leone der Küste entlang aneinanderreihten. Die Stadt wurde gefeiert; Dichter, Historiker, Geographen, von Pindar bis Polybius, von Cicero bis Diodor, waren entzückt über die Pracht der Bauwerke und den
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