Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.
Lebensstil der Bewohner. Ein gewisser Gellias beispielsweise schickte seine Bediensteten zur Wache vor die Stadttore: Jeder Auswärtige, der ankam, wurde von ihnen eingeladen, auf Kosten des Gastgebers zu speisen und zu ruhen. Eines Tages standen mit einem Schlag fünfhundert Reiter vor dem Tor. Gellias behielt einen kühlen Kopf und richtete ein Bankett aus, an das sich selbst zukünftige Pferdegenerationen dank ihres genetischen Gedächtnisses noch erinnerten. Diodor berichtet, als der Agrigentiner Exenetus die Olympischen Spiele gewann, fuhren ihm dreihundert von Schimmeln gezogene Vierspänner entgegen. Ganz beiläufig bemerkt: Die Kutschen waren aus Elfenbein, »denn, wie wir wissen, gab es Hunderte von der Art in Agrigent«. Aus Gründen, auf die wir im folgenden noch eingehen, werden wir von allen Tempeln in Agrigent nur den des Zeus erwähnen, der laut Polybius aufgrund seiner »Großartigkeit« und seiner »Weiträumigkeit« in nichts den Werken aus Griechenland nachstand. Doch nachdem die Karthager sie in die Knie gezwungen hatten und die Araber eintrafen, zog sich die Stadt, aus der nun Gergent (was zu dem italienischen Namen Girgenti führte) geworden war, auf die Spitze des Hügels in ihrem Rücken zurück und verlegte den Mittelpunkt ihres Seehandels in die Gegend, aus der dann Borgata Molo wurde. Ungefähr 1150 schrieb der muslimische Geograph Idrisi an König Roger, daß »sich hier Schiffe versammelten«: ein Zeichen für einen florierenden Handel, wenngleich die »herausragende Macht« (und das sind Idrisis Worte) Girgents ein wenig gesunken war. In der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts trug der Vorort noch keinen Namen, sondern diente lediglich als Sammellager von Girgenti, an dem der Weizen aus dem Hinterland zusammengetragen und auf den Handelsweg gebracht wurde. In einer Urkunde aus jener Zeit wird der Hafen als »der beste und bedeutendste des gesamten Königreichs« bezeichnet. Der beste, das ja, aber, wie man heute sagen würde, mit einem schweren Handicap behaftet: Seiner besonderen geographischen Lage wegen war er Ziel blitzschneller wiewohl verheerender Raubüberfälle; die Seeräuber versteckten sich gewöhnlich hinter einem steil aus dem Meer aufragenden Mergelhügel, der eine Art kleines Vorgebirge bildete und »Türkentreppe« genannt wurde; von dort aus waren sie bei günstigem Wind in der Lage, im Handumdrehen einzufallen und die Waren an sich zu reißen. Um Abhilfe zu schaffen, ließ Juan Vega, Vizekönig unter Kaiser Karl V, im Jahr 1554 eine mächtige Felsburg errichten, »mächtig, was Bauwerk als auch die Kriegsmaschinerie anging«, wie Camillo Camilliani in seiner Descrizione della Sicilia (Beschreibung Siziliens) im Jahr 1584 notierte. Auf einem französischen Kupferstich aus dem achtzehnten Jahrhundert sehen wir direkt auf dem Strand hier und da einige Häuser, ein riesiges Zelt, einige Lagerhallen (gemauert oder unter der Erde), Fässer und Tonnen, kreuz und quer verstreut, ein Segelschiff, ein Fischerboot, ein Gerüst mit Fischernetzen und den Umriß des großen, finsteren Turms inmitten der Meeresfluten, der durch eine gemauerte Brücke mit dem Strand verbunden war. Obgleich der Künstler sich ersichtliche Mühe gegeben hat, die Bildkomposition durch menschliche, von leichter Hand gezeichnete Gestalten, die meisten davon in Bewegung, aufzulockern (es gibt sogar einige, die auf dem Podest Musik machen, und andere, die dort tanzen), wirkt die Landschaft nicht besonders anziehend, sondern drückt Chaos und Zerstörung aus. Im Jahr 1748 genehmigte Karl III. aus dem Hause Bourbon nicht um der landschaftlichen Gestaltung, sondern um eines blühenden Handels willen den Bau einer Hafenmole. Und da hatte der Bischof Gioeni den netten Einfall, das Baumaterial für die Mole von den zyklopischen Ruinen des Zeus-Tempels zu nehmen (über den Polybius berichtet), und erreichte damit – wie ein deutscher Spaßvogel schrieb – ein zweifaches Resultat: Die Hafenanlage wurde gebaut, und die Krebse und Meerschnecken wurden in Archäologie unterwiesen. Als das Werk der Verschandelung vollbracht war, wurde das Dorf, das bereits im achtzehnten Jahrhundert »Marina di Girgenti« hieß, in den öffentlichen Unterlagen »Borgata Molo« genannt: Die Einwohner von Borgata jedoch (ein Völkergemisch aus Neapolitanern, Salernitanern sowie Leuten aus Licata und von der Insel Malta) hegten seit eh und je eine abgrundtiefe Abneigung gegen die Leute aus Girgenti, und die wollten sich dafür
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