Eine skandalöse Braut
Offenbar ist es erblich.« Ihr Vater stand einfach da. In seinem Abendanzug wirkte er sehr würdevoll, doch seine Miene war ungewöhnlich gequält. »Also, wollen wir los?«
Das war’s?
Tante Sophia hatte ihr auch nie davon erzählt. Das fand sie noch viel beunruhigender. »Ist Mama wirklich im Kindbett gestorben?«
Ihr Vater blickte sie überrascht an. »Natürlich. Glaubst du denn, ich hätte ein Geheimnis vor dir?«
Nun, tatsächlich wurde sie es allmählich leid, überall auf Geheimnisse zu stoßen. Offensichtlich war sie von unzähligen Geheimnissen umgeben. »Du hast mir noch nie erzählt, dass sie Atemprobleme hatte«, erklärte sie, während der Lakai noch immer geduldig die Tür zur Kalesche offen hielt.
»Aus gutem Grund«, murmelte ihr Vater. Auf seinem Gesicht zeichnete sich ein schmerzlicher Ausdruck ab. »Können wir dieses Thema nicht später besprechen?«
»Das werden wir tun, verlass dich drauf«, erwiderte sie grimmig. Sie ließ sich von ihm in die Kutsche helfen.
Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie das Gefühl, er schenkte ihr einen abwägenden Blick, in dem weder Abweisung noch Desinteresse mitschwang. Nein, es schien, als sehe er sie zum ersten Mal bewusst an.
Das war wenigstens ein Fortschritt.
Wenn es nicht unter ihrer Würde wäre, zu stottern, hätte Sophia es jetzt getan. »Wirklich, Mylord. Das kann nicht Euer Ernst sein.«
Ihr Schwager Stephen Patton, Lord Hathaway, nickte bloß einmal. »Oh doch, es ist mir ernst, Madam. Ich möchte Euch bitten, Euren beträchtlichen Einfluss auf meine Tochter einzusetzen, um sie dazu zu zwingen, Westhope zu nehmen.«
Allein am Wörtchen zwingen rieb sie sich. Sophia war auch nicht überzeugt, dass Amelia sich zu irgendetwas zwingen ließ. Sie hatte nicht nur die blonde Schönheit ihrer Mutter geerbt, sondern auch einen Gutteil ihres Temperaments. »Warum die Eile? Die Saison hat doch erst vor Kurzem begonnen«, fragte Sophia. Ihr Blick ging zur Tanzfläche, wo in diesem Moment ihre Nichte in einem umwerfenden grünen Kleid, das ihrem schimmernden, bernsteinfarbenen Haar schmeichelte, in den Armen eines jungen, attraktiven Mannes tanzte, den Sophia als den Sohn eines ihrer Freunde erkannte. »Ich bin sicher, in Euren Augen ist Lord Westhope eine geeignete Wahl, aber in dieser Angelegenheit zählt doch vor allem Amelias Meinung, oder nicht?«
Hätte man Sophia nach ihrer bescheidenen Meinung gefragt, hätte sie verkündet, Westhope sei so fade wie ungesalzene Brühe. Er gab zweifellos die Art Ehemann ab, die immerzu über die Jagd plauderten, im Parlament immer mit der Mehrheit stimmte und den Freunden mehr Aufmerksamkeit widmete als der eigenen Frau, sobald er sie bekommen hatte. Was vielleicht das Schlimmste war, er war im Bett vermutlich fantasielos.
Es war ja nicht so, dass eine gute Ehe allein auf die Fähigkeiten eines Mannes im Schlafzimmer gründete. Aber Sophia war sich ziemlich sicher, dass eine der Eigenschaften eines Mannes, die schwer zu verzeihen wären, die eines unbedachten Liebhabers war. Zumindest ihrer aufgeklärten Meinung nach. Natürlich konnte sie das nicht laut aussprechen – das wäre höchst geschmacklos.
»Was zählt«, erwiderte Stephen fest, »ist doch, dass sie einen Mann hat, der sich um sie kümmert, ihr ein Zuhause bietet und sie respektvoll behandelt. Ich habe ihn auch mit ihrem Problem vertraut gemacht, und er fühlte sich davon nicht abgestoßen.«
»Wie großzügig von ihm«, erwiderte Sophia schroff.
»Ja, das fand ich auch.«
Schwang da etwa in der Stimme ihres Schwagers ein verteidigender Unterton mit?
»Ich bin insofern mit Euch einig, dass sie einen Mann braucht, der zu ihrem lebhaften Geist passt, ihre Liebe zur Literatur teilt und nicht nur ihr Aussehen bewundert, sondern auch ihre innere Schönheit.« Sophia lauschte dem beschwingten Rhythmus der Musik. Sie sah, wie Amelia über eine Bemerkung ihres Tanzpartners lachte. Ihre Bewegungen waren anmutig. Es war wirklich eine Schande, dass sie nicht häufiger tanzen konnte. »Aber ich fürchte, das trifft nicht auf Westhope zu.«
»Warum nicht?«, fragte Stephen gereizt. »Kommt schon, bringen wir die Sache hinter uns. Mein Haus wird von Blumen und Besuchern überschwemmt. Ich verbringe meine Abende bei ermüdenden Veranstaltungen wie dieser, statt in meinen Klub oder einen der Spielsalons zu gehen, und …«
»Sie ist Eure Tochter, Mylord. Für mich ist noch viel wichtiger, dass sie Sarahs Tochter ist. Ich will, dass sie glücklich
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