Eine skandalöse Braut
Glück verlangsamte sich in diesem Moment die Equipage und hielt vor einem hell erleuchteten Anwesen, das sie noch nie besucht hatte. Sie erinnerte sich, dass es sich um das Zuhause einer Frau handelte, die von der Gesellschaft zurückgezogen lebte. Sie war eine verwitwete Countess, von der man sich erzählte, sie habe jeglichen Kontakt mit der Außenwelt abgebrochen, nachdem ihr Mann gestorben war.
»Kaum zu glauben, dass mir Lady Bosworth’ Engagement für diese Ausstellung entgangen ist«, murmelte Tante Sophia. Ein livrierter Lakai öffnete die Kutschentür und verneigte sich. »Wir sind befreundet, aber ich habe sie seit einiger Zeit nicht mehr gesehen. Ich war traurig, als sie sich zum Trauern zurückzog und sich anschließend dagegen entschied, in den ton zurückzukehren. Ich habe gedacht, sie sei noch in Italien. Vor über einem Jahr habe ich zuletzt einen Brief von ihr bekommen.«
Obwohl diesmal kein safranfarbener Turban ihr Haupt krönte, sah ihre Tante auch heute wieder mehr als nur ein bisschen unkonventionell aus. Sie trug ein gewagtes orangefarbenes Kleid, das wie ein indischer Sari um ihre bemerkenswerte Figur gewickelt war. Das dunkle Haar trug sie zu einem Zopf geflochten, und die Augen hatte sie mit etwas Schwarz umrandet. Ein bunter Schal komplettierte ihr Ensemble. Sie trug ihn um die Schultern. Das Exotische passte zu ihr, aber Amelia fragte sich nicht zum ersten Mal, wieso Sophia darauf bestand, für ihre Nichte möglichst schickliche und biedere Kleider auszusuchen, während sie es selbst bevorzugte, ein so spannendes Ensemble zur Schau zu tragen.
Das Foyer wurde von einem großartigen, hellen Kronleuchter bestrahlt. Der Fußboden war aus poliertem Marmor, und das Muster aus Schwarz und Weiß wurde von den Vasen wieder aufgenommen, in denen knallrote Rosen standen. Ein tadellos gekleideter Diener führte sie in den Korridor zur Linken und von dort in den Salon. Das Summen der Stimmen war gedämpft. Sie blieben in der Tür stehen.
»Ich würde sagen …« Lord Westhope klang verschnupft. »Es sind wohl mehr Leute gekommen, als ich erwartet habe.«
Die Versammlung war vielleicht nicht so klein und exklusiv, wie es Seine Lordschaft erwartet hatte, aber bestimmt machte die Crème de la Crème des haut ton einen Großteil der Gäste aus. Amelia erkannte einige der wichtigsten Leute der Gesellschaft. Aber noch viel bedeutsamer schien es ihr, dass einige Menschen zugegen waren, die schlicht gekleidet waren und die sie gar nicht kannte. Dennoch mischten sie sich unter die adeligen Gäste.
Auf der Stelle beschloss sie, Lady Bosworth zu mögen. Schließlich war sie mit der Dienerschaft vertraut aufgewachsen, die sie wie ein Familienmitglied behandelt hatten. Einige der Gäste waren weder wohlhabend noch hochgeboren, zumindest nicht, wenn man von ihrem Äußeren schloss.
Die Bilder waren an exponierten Stellen im Raum verteilt aufgehängt. Aber es war unmöglich, einem der Ölgemälde auch nur nahe zu kommen, da sich kleine Menschentrauben darum versammelten. Lord Westhope murmelte: »Ich besorge uns Erfrischungen. Bitte entschuldigt mich.«
Tante Sophia blickte ihm nach. Er bahnte sich einen Weg durch das Gedränge. Sie konnte ihre Belustigung nicht verbergen. »Der arme Earl. Er hat geglaubt, er könne mit dir an seinem Arm in eine kleine, erlesene Gesellschaft platzen, bei der nur wenige unserer Bekannten zugegen sind, die ihn für seinen guten Geschmack und sein großes Glück bewundern. Er sieht ziemlich geknickt aus.«
»Ich habe ihm nicht einmal versprochen, ihn hierher zu begleiten.« Amelia blickte sich um. Die Einrichtung war interessant. Ungläubig entdeckte sie eine Neptunstatue in Lebensgröße, die mitten im Raum stand. Neptun hielt einen Dreizack in der Hand und trug keinen Fetzen Stoff am Leib. Die Statue erhob sich aus dem Wasser, und auf der Marmorhaut perlten recht realistische Wassertropfen aus Marmor ab. »Wenn du dich erinnern magst, hat mein Vater diese Verabredung für mich getroffen.«
»Ich erinnere mich.« Tante Sophia hob eine Braue. »Ich weiß, wir sind erst kürzlich nach London zurückgekommen, aber ich frage mich, ob inzwischen für dich eine Nachricht von St. James gekommen ist.«
»Nicht, dass ich wüsste«, gab Amelia zu.
»Er ist klug genug, um zu wissen, dass dein Vater dagegen sein wird.«
»Ja.«
»Aber du hast vielleicht nicht alle Zeit der Welt, um die Sache in Ordnung zu bringen.«
»Wahrscheinlich nicht. Vater möchte mich möglichst rasch
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