Eine skandalöse Braut
umfasste den Raum mit einer weit ausholenden Geste. »Ich gehöre hierher. Es war eine Zeit lang ganz nett, wegzulaufen, das gebe ich zu. Aber ich habe in Venedig nicht das gefunden, wonach ich gesucht habe.« Ein Grübchen blitzte in ihrer Wange auf. »Nun, ich habe immerhin in der Zwischenzeit gefunden, was ich brauchte. Was ist mit dir? Gibt es da jemanden?«
»Es könnte sein«, gab Sophia widerstrebend zu. Da sie noch nicht bereit war, sich selbst einzugestehen, dass sie daran interessiert war, ihre Beziehung zu Richard zu vertiefen, kam es ihr nicht richtig vor, jemand anderem schon davon zu erzählen. »Amelia sieht aus, als müsste sie gerettet werden. Wollen wir ihr zu Hilfe eilen?«
Della war nicht dumm, deshalb nickte sie zustimmend. »Sie und der Earl sehen sich gerade eines meiner liebsten Bilder an. Es heißt Die Verführerin. Ich glaube, du wirst es sehr interessant finden.«
Kurz darauf stand Sophia, nachdem sie sich höflich durch die Gästeschar gedrängt hatten, vor einer großen Leinwand, die auf einer Staffelei stand. Der Rahmen war recht schlicht gehalten. Das Kunstwerk selbst war alles andere als gewöhnlich.
»Ich glaube, ihre Weiblichkeit ist gleichermaßen überwältigend und zart«, bemerkte Della. Sie hakte sich bei Sophia unter. So traten sie zu Amelia und Lord Westhope. »Es erinnert mich an die griechischen Statuen. Seht doch nur der zarte Faltenwurf und wie er die weibliche Gestalt betont!«
Seine Lordschaft wirkte plötzlich sichtlich verlegen, als sei es unschicklich, laut von einer weiblichen Gestalt zu sprechen. Sophia betrachtete das Gemälde eingehend und versuchte, ihre Belustigung zu verbergen. Amelia hingegen schien gar nicht zuzuhören. Ihr Blick wirkte seltsam abwesend.
Della hatte recht: Die zentrale Figur war eine Frau mit langem, seidig dunklem Haar. Sie war im Profil dargestellt. Ihr Körper wurde von einer fernen Lichtquelle beschienen, die auf dem Bild nicht sichtbar war. Sie ruhte auf einem Fels direkt am Meer, bekleidet bloß mit einem durchsichtigen Kleid aus einem dünnen Stoff. Der Eindruck, eine Meerjungfrau vor sich zu haben, wurde noch verstärkt durch eine wunderschöne Halskette mit tiefblauen Edelsteinen und einem großen Diamantanhänger, der zwischen ihren vollen Brüsten ruhte. Ihre grazile, schlanke Gestalt verschmolz mit dem mythischen Fischschwanz, der unter dem Stoff des Kleids hervorlugte. Ihr Arm ruhte auf dem Bauch, als wäre sie tief in Gedanken versunken.
Es war ein sehr bewegendes Bild, fand Sophia. Wenn Simeons Enkel nur halb so talentiert war, würde sie gerne sehen, was er mit Amelia als Modell zustande brachte.
»Dieses Bild ist noch nie ausgestellt worden?« Ihre Nichte stellte die Frage zögernd. Sie wandte sich halb ihrer Gastgeberin zu, ohne den Blick von der Leinwand zu lassen.
»Noch nie«, bestätigte Della nickend.
»Warum habe ich dann das Gefühl, es schon einmal gesehen zu haben?«, murmelte Amelia nachdenklich.
Lord Westhope bot ihr seinen Arm. Er hatte es offenbar eilig, zum nächsten Bild zu gehen und sie wieder für sich zu haben, soweit das in einem überfüllten Raum wie diesem möglich war. »Manchmal spielt uns der Verstand einen Streich, meine Liebe.«
Sein Verstand bestimmt nicht, meinte Sophia in Amelias Miene zu lesen. Sie glaubte wohl, solche Verrenkungen seien für Westhopes Verstand zu viel. »Nur noch einen Augenblick, bitte«, beharrte sie und ignorierte seinen Arm. »Es kommt mir so bekannt vor.«
»Wie ich bereits sagte, mir hat man gesagt, die Werke seien noch nie ausgestellt worden«, murmelte Della. »Sein Stil ist jedoch unverkennbar. Vielleicht habt Ihr ein anderes seiner Bilder gesehen.«
Amelia blickte zu der wie hingegossen dasitzenden Gestalt auf dem Felsbrocken hoch. Ihre Augen verengten sich. »Es ist die Kette.«
Sophia blickte nun ebenfalls hoch. Es war ein höchst beeindruckendes Schmuckstück, das stand fest. »Was soll mit der Kette sein?«
Leise erwiderte Amelia: »Ich habe sie schon einmal gesehen. Auf einem Porträt in der Galerie daheim in Brookhaven. Dort trägt sie natürlich eine andere Frau, aber ich könnte schwören, dass es derselbe Diamantanhänger mit dieser filigranen, goldenen Einfassung ist. Und diese blauen Edelsteine. Ja, ich bin fast sicher, dass ich recht habe.«
»Ein wirklich einzigartiges und auffälliges Schmuckstück. Vielleicht hat Simeon ein Mitglied Eurer Familie gebeten, für ihn Modell zu sitzen.« Della war fasziniert. »Ich werde Freddie fragen, ob
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