Eine skandalöse Braut
eine wichtige Frage stellen.«
»Und welche wäre das?«, fragte Alex. Der wacklige Stuhl, auf dem er hockte, knackte verdächtig, als er sein Gewicht verlagerte.
»Welches Bruchstück fehlt dir?«
»Ich habe doch bereits gesagt …«
»Ja, schon klar. Dir wird sie es nicht sagen. Das verstehe ich. Aber gewöhnlich ist das scheinbar Unmögliche offensichtlicher als man denkt. Wenn es einen bestimmten Grund gibt, warum sie plötzlich darauf drängt, diesen verflixten Schlüssel zurückzubekommen, musst du dich fragen, was es gibt, das deine Großmutter Lord Hathaway nicht überlassen will. Das ist die einzige logische Schlussfolgerung. Wenn er die ganze Zeit im Besitz des Schlüssels war und nicht weiß, wofür er da ist, gehe ich davon aus, es gibt etwas, das ihn schon bald darauf stoßen wird.«
Das ergab Sinn. Aber auch nur, weil alle anderen Ideen überhaupt keinen Sinn ergaben. »Sowohl Amelia als auch ich bekommen Briefe. Alte Liebesbriefe. Der Absender hat es geschafft, anonym zu bleiben. Ich weiß nicht, warum er das tut, aber er stellt eine Verbindung zwischen ihrer und meiner Familie her. Es hat offenbar etwas mit Annas Tod und dem daraus resultierenden Duell zu tun.«
Michael lächelte leicht. »Dann ist das der Punkt, an dem ich mit meinen Nachforschungen beginnen würde.«
19
Ihre Rückkehr nach London brachte eine Vielzahl unterschiedlichster Gefühle mit sich wie schon damals bei ihrer Ankunft vor wenigen Monaten. Diesmal waren es jedoch andere Gefühle, überlegte Amelia und blickte aus dem Kutschenfenster. Der jungen Frau, die vor ihrem Eintritt in die Gesellschaft gestanden hatte, war beklommen zumute gewesen. Zugleich hatte sie Neugier verspürt, was ihr Debüt mit sich bringen würde. Einen Ehemann? Darum ging es schließlich; die neuen Kleider, die rauschenden Feste, das Gedränge von Menschen und die zahllosen Gläser mit lauem Champagner.
Die Vorstellung, einen Ehemann zu nehmen, war damals noch abstrakt gewesen. Eine schemenhafte Gestalt.
Aber jetzt hatte die Vorstellung klar umrissene Konturen. Alex mit seinem unwiderstehlichen, guten und düsteren Aussehen. Mit seinem strahlend schönen Lächeln. Sie liebte seinen Sinn für Humor und seine Intelligenz. Die Art, wie sich seine Berührungen in ihre Sinne brannten. Er war wie eine berauschende Droge. Aber wo steckte er jetzt?
»Ich bin sicher, Ihr werdet die Ausstellung genießen.« Lord Westhope strahlte sie an. Er war wie üblich fast geckenhaft gekleidet. Heute trug er einen hellblauen Mantel, ein duftiges Halstuch, und seine Schuhe hatten mit Diamanten besetzte Schnallen. Sie hatte fast vergessen, dass sie – obwohl ihr Vater diese Verabredung getroffen hatte – ihm versprochen hatte, ihn zu der Kunstausstellung zu begleiten. Zum Glück war sie gerade ausgehfertig gewesen, als er eintraf, um sie abzuholen.
Tante Sophia hatte die plötzliche Änderung der Pläne mit der ihr eigenen Souveränität hingenommen. »Es ist ein seltenes Vergnügen, eine Sammlung der letzten Werke Simeons sehen zu dürfen.«
»Ich habe gehört, sein Enkelsohn ist ein ziemlich exzentrischer Zeitgenosse«, informierte Westhope sie. »Das sind ja alle Künstler, soweit ich es beurteilen kann. Schriftsteller und Schauspieler ebenso. Zu viel Vorstellungskraft ist wohl kein besonders verheißungsvoller Wesenszug.«
»Unter diesem Gebrechen leidet Ihr nicht, Mylord«, bemerkte Amelia unschuldig. Sie saß ihm sittsam gegenüber und hatte die Hände im Schoß gefaltet.
Tante Sophia warf ihr einen drohenden Blick zu. Es stimmte, das hätte sie nicht sagen dürfen. Aber die Bemerkung perlte an ihm ab. »Stimmt. Ich bin viel mehr geneigt, mich angemessenen Aufgaben zu widmen«, sagte er enthusiastisch. »Die Jagd ist mein liebster Zeitvertreib. Reitet Ihr gerne Treibjagden, Lady Amelia?«
Sie konnte sich nichts moralisch Verwerflicheres vorstellen als die Jagd nach einem unschuldigen Tier, die allein den Zweck hatte, es zu töten. Und das nannte er einen Sport? Für sie war es nicht mal annähernd geeignet, so bezeichnet zu werden, weshalb sie eine scharfe Bemerkung zurückhalten musste. Stattdessen antwortete sie: »Ich fürchte nicht, Mylord.«
»Ach.« Er schien enttäuscht zu sein, wenngleich nur ein bisschen.
Er war für ihren Geschmack zu oft unbestimmt in seinen Ansichten, und Amelia fragte sich nicht zum ersten Mal, wie ihr Vater bloß auf die Idee hatte kommen können, sie könne in der Ehe mit einem so nichtssagenden Mann glücklich werden.
Zum
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