Eine skandalöse Lady: Roman (German Edition)
Deshalb solltet Ihr wirklich besser Eure schöne Ballrobe ausziehen. Wenn Unterkleid und Unterröcke Schmutz abbekommen, macht das nichts … Höchstens Eure Zofe wird dumm schauen, und Ihr solltet Euch etwas ausdenken, um Gerüchten unter der Dienerschaft vorzubeugen, aber ansonsten … Niemand wird Verdacht schöpfen, wenn Sie den Ballsaal wieder betreten.«
Es dauerte einen Moment, ehe sie hervorstieß: »Ich kann mich doch nicht vor Euren Augen ausziehen.«
Seine Lippen verzogen sich zu einem leicht spöttischen Grinsen, während er an seiner perfekt gebundenen Krawatte zupfte. »Ich versichere Euch, dass ich nicht allzu schockiert sein werde.«
Irgendwie bezweifelte sie, dass Damien Northfield überhaupt durch irgendetwas zu schockieren war. Und bestimmt nicht durch eine unbekleidete Lady. Davon dürfte er bereits mehr als eine zu Gesicht bekommen haben. Ein Mann von seinem Aussehen! So ahnungslos war sie nicht, um nicht zu wissen, dass Männer seines Standes sich ausgiebig vor der Ehe zu vergnügen pflegten. Trotzdem erschien ihr sein Vorschlag unakzeptabel. »Ich mache mir kaum Sorgen um Euer Zartgefühl. Es ist einfach … unanständig.«
»Ich denke, Ihr müsst Euch schlicht zwischen Anstand und Machbarkeit entscheiden.« Er legte seine Krawatte sorgfältig zusammen und steckte sie in die Tasche seines Jacketts. »Ich kann durchaus ein Geheimnis für mich behalten – Lord Wellington würde das bestätigen. Und obwohl Ihr wirklich hübsch seid, Lady Lillian, versichere ich Euch, dass ich bestimmt nicht den Wunsch verspüre, mich Euch zwischen Spinnweben und Unrat in muffigen Gängen in ungebührlicher Weise zu nähern. Es steht Euch frei, wofür Ihr Euch entscheiden wollt. Hierbleiben und eine Entdeckung riskieren oder mit mir kommen und auf Moralvorschriften pfeifen.«
Hatte er überhaupt eine Ahnung, dass ihr Kleid eigentlich ihre geringste Sorge war? Viel schlimmer als die Überwindung, sich vor ihm zu entkleiden, und auch schlimmer als der Schmutz war der Gedanke an die Dunkelheit, die hinter der Tür lauerte. Und die sich noch vertiefen würde, je weiter sie nach unten stiegen. Denn die Stufen sah sie bereits, und sie führten direkt in ein schwarzes Loch, in absolute Finsternis.
Ihre Brust zog sich schmerzlich zusammen.
Sie hatte, mit einem Wort, Angst . Grauenvolle Angst.
Wäre da nicht ihr bereits angeschlagener Ruf gewesen – sie hätte diesen Ausweg unter keinen Umständen in Erwägung gezogen. Und auch jetzt war sie sich keineswegs sicher, dass sie es tun sollte. Doch während sie noch zögerte, klopfte jemand leise an die Tür.
Sie gab sich einen Ruck. Alles, bloß das nicht. Nicht eingeschlossen in der Bibliothek gefunden werden. Selbst wenn Damien Northfield allein im Geheimgang verschwand, müsste sie immer noch erklären, warum die Tür abgeschlossen war. Falls es für so etwas überhaupt eine einigermaßen plausible Ausrede gab, wollte sie ihr zumindest im Moment nicht einfallen .
Ein zweites Klopfen erklang, diesmal lauter als das erste, und gleichzeitig rüttelte jemand an der Türklinke.
»Schnell«, flüsterte sie und wirbelte herum. Mit dem Rücken zu ihm stehend, fügte sie hinzu: »Helft mir.«
Sie glaubte ein gedämpftes Lachen zu hören, aber er verstand auf der Stelle, half ihr, die Knöpfe im Rücken zu öffnen, damit sie aus dem Kleid steigen konnte. Verzweifelt fragte sie sich, ob sie jetzt vollends den Verstand verloren hatte. Nur in Unterkleidern, Strümpfen und Schuhen raffte sie ihr Kleid zusammen, während er eine Lampe vom Tisch nahm und sie anzündete. Alles, ohne ein einziges Geräusch zu machen. Wie ein Kundschafter hinter den feindlichen Linien, dachte sie. Vermutlich stimmten die Geschichten, die man sich über ihn erzählte.
Wie auch immer. Lily war jedenfalls dankbar, dass er ihren spärlich bekleideten Körper nicht neugierig anstarrte. Zu ihrer Überraschung hielt er ihr jetzt sein Jackett hin, machte ein Zeichen, dass sie es sich mit ihrem Kleid unter den Arm klemmen sollte, und reichte ihr anschließend wortlos seine Hand.
Sie legte ihre Finger in seine, und sie hätte schwören können, den Hauch eines Lächelns bei ihm zu sehen; dann führte er sie in den Geheimgang und bediente von innen den Mechanismus, um die Vertäfelung wieder an ihren Platz zu schieben, und drückte anschließend die quietschende Tür zu.
Sie atmete erleichtert auf.
Nur dass es jetzt schlimmer wurde, als sie es sich vorgestellt hatte. Die Decke hing niedrig über ihren
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