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Eine skandalöse Lady

Eine skandalöse Lady

Titel: Eine skandalöse Lady
Autoren: Teresa Medeiros
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seiner Unerbittlichkeit. Er riss mit rücksichtslosen Fingern die Blätter von den Bäumen, sodass sie nackt dastanden. Er wischte den letzten Hauch von Sommer fort, bis jene kurze Jahreszeit nur noch als ein schöner Traum schien.
    Manche behaupteten, wenn man vor die Tür träte und den Kopf in genau dem richtigen Winkel schief legte, dann könnte man sogar die Glocke läuten hören, mit der vor hundert Jahren die Strandräuber ahnungslose Kapitäne mit ihrem Schiff auf den zackigen Felsenriffen ins Verderben gelockt hatten. Andere flüsterten, es sei derselbe Wind wie in der Nacht, als die erste Frau des Masters so verhängnisvoll stürzte, derselbe Wind, der ihren Entsetzensschrei an ihre Ohren getragen hatte.
    Die Dienstboten blieben für sich und schlössen sich in ihren Quartieren ein, sobald es dunkel wurde. Es war nicht länger ein Gespenst, dem sie in den wachsenden Schatten zu begegnen fürchteten, sondern ein Mann. Obwohl er sich tagsüber in seinem Arbeitszimmer verbarrikadierte, durchwanderte er nachts zu den unmöglichsten Stunden die verlassenen Korridore des Hauses, und seine finstere Miene und seine brennenden Augen ließen ihn irgendwie nicht mehr menschlich aussehen.
    Obwohl keine Musik, gespenstisch oder anderen Ursprungs, aus dem Musiksalon drang, nachdem er seine Frau und am Ende auch seine Tochter fortgeschickt hatte, vermieden die Dienstmädchen es dennoch, das Zimmer zu betreten. Keines von ihnen konnte das unheimliche Gefühl abschütteln, beobachtet zu werden. Sie drehten sich jäh um, das Herz schlug ihnen bis zum Hals, nur um sich allein mit dem Portrait der ersten Lady Oakleigh wiederzufinden. Ein junges Mädchen schwor, während sie das Piano abstaubte, sei eine erstickende Wolke Jasminparfüm aus den Tasten aufgestiegen, sodass sie nach Atem ringend aus dem Raum gestolpert sei. Nachdem eine Porzellanfigur vom Kaminsims fiel und nur knapp Meggies Kopf verfehlte, konnten weder Marthas Kneifen noch Mrs. Cavendishs Drohungen mit sofortiger Entlassung auch nur eines der zu Tode erschreckten Stubenmädchen dazu bewegen, in den Musiksalon zurückzukehren.
    Die Lakaien begannen sich bei Giles zu beschweren, dass es in bestimmten Fluren eiskalte Stellen gab, sodass sie unkontrollierbar mit den Zähnen klapperten und in die Küche laufen mussten, um sich am Herdfeuer zu wärmen.
    Als Martha Hayden zögernd von der wachsenden Angst der Dienstboten berichtete, schlug er ihr vor, weniger abergläubische Diener einzustellen. Er glaubte nicht länger an Gespenster. Als er sich nach ihnen sehnte, hatten sie ihn verlassen.
    Obwohl er Allegra vor beinahe vier Monaten fortgeschickt hatte, bestand er darauf, dass die Diener in ihrem Zimmer die ganze Nacht lang eine Lampe brennen ließen. Manchmal öffnete er nachts die Tür einen Spalt breit und erwartete, sie dort liegen zu sehen, ihre Wangen im Schlaf gerötet und Lotties Puppe im Arm. Aber ihr Bett war immer kalt und leer.
    In den frühen Morgenstunden blieb er an der Tür zum Empfangssalon stehen und hoffte, das Klirren von Teetassen zu hören, ein Kichern oder die letzten Noten einer lächerlichen schottischen Weise. Aber er vernahm nur Stille.
    Sein zielloses Umherwandern führte ihn schließlich stets in den dritten Stock des Hauses, zu Lotties Schlafzimmer. Als er das erste Mal die Tür geöffnet hatte, war er überrascht gewesen, dass sie das meiste ihrer Habe dagelassen hatte. Vielleicht hatte sie einfach in Eile gepackt, sagte er sich bitter, von dem verzweifelten Wunsch getrieben, endlich von ihm wegzukommen. Er hatte die Furcht in ihren Augen gesehen, als er ihr an jenem Tag auf den Klippen die Hände auf die Schultern gelegt hatte. Es war eine Furcht, die er nie wieder in den Augen einer Frau sehen wollte – so lange er lebte. Und besonders nicht in Lotties.
    Er schlenderte durch ihr Zimmer, nicht von Gespenstern verfolgt, sondern von der Erinnerung daran, wie sie ihre Nase rümpfte, wenn sie lachte; wie ihr Haar wie geschmolzener Sonnenschein geschimmert hatte, als sie auf dem Laufrad die Auffahrt hinabgerast war; die leisen, erstickten Laute, die sie ausgestoßen hatte, als er sie mit seinem Mund in den süßen Abgrund der Lust gesandt hatte. Obwohl er wusste, er sollte Martha und Mrs. Cavendish auftragen, ihre Sachen zusammenzupacken und nach London zu schicken, zog er jede Nacht ihre Tür wieder hinter sich zu und ließ alles genau so, wie sie es verlassen hatte.
    In den ersten Wochen nach Justines Tod hatte Hayden die Gefahr erkannt,
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