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Eine skandalöse Lady

Eine skandalöse Lady

Titel: Eine skandalöse Lady Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Teresa Medeiros
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Weit weg von dem Westflügel des Hauses. Und weit weg von ihm.
    Doch auch das dämpfte die Versuchung nicht. Lotties Zimmer mochte außer Hörweite des Westflügels liegen, es befand sich aber auch außer Hörweite der Dienstbotenquartiere. Wenn er wollte, konnte er zu ihr gehen und seine Lust nach Belieben stillen, ohne dass jemand je davon erführe, noch nicht einmal die hellhörige Martha.
    Hayden rieb sich die Stirn und versuchte, die Bilder zu vertreiben, die bei diesem Gedanken auf ihn einstürmten. Bilder von Lotties weichen Gliedern, verschlungen mit seinen eigenen, ihre schimmernden goldenen Locken ausgebreitet über sein Kissen, ihre üppigen Lippen zu einem Keuchen der Lust geöffnet.
    Seine Phantasie war beflügelt worden, als er sie für den größten Teil seiner Hochzeitsnacht beim Schlafen beobachtet und bewundert hatte, wie unbekümmert sie die Decken von sich getreten und einen schlanken Schenkel über ihr Kissen gelegt hatte, als wäre es ihr Geliebter. Es hatte jeder Unze seiner ohnehin schon geschwächten Willenskraft bedurft, um diese Decken nicht von ihr zu ziehen und den Platz des Kissens einzunehmen. Seiner Entschlusskraft war nicht unbedingt zuträglich gewesen, dass er gewusst hatte, dass viele seiner Zeitgenossen der Meinung wären, es sei sein gutes Recht und sogar seine Pflicht, sie zu nehmen.
    Aber im Augenblick harrten dringendere Pflichten seiner, mahnte er sich selbst, als er seine eben noch ausholenden Schritte verlangsamte, je näher er Allegras Tür kam. Ein dünner Lichtschein fiel unter der Tür hindurch. Seit sie ein kleines Kind gewesen war, hatte seine Tochter unter Albträumen gelitten. Er hatte bestimmt, dass in der Nähe ihres Bettes immer eine Lampe brennen sollte, für den Fall, dass sie in der Nacht aufwachte und Angst bekam. Früher einmal wäre sie zu ihm gelaufen gekommen. Früher einmal hätte sie darauf vertraut, dass er die Ungeheuer für sie verjagen würde. Aber das war, bevor er in ihren Augen selbst eines geworden war.
    Mit den Fingerspitzen berührte er vorsichtig das glatt polierte Eichenholz. Er wollte sich vorstellen, dass sie in ihrem Bett lag und ihre neue Puppe im Arm hielt. Aber sie hatte sein Geschenk zurückgewiesen und allen Trost, den es ihr hätte bringen können. Er lauschte mehrere Minuten lang vor ihrer Tür, hörte aber nichts als ein rastloses Wimmern.
    Hayden erstarrte, und die Haare in seinem Nacken sträubten sich. Bildete er es sich nur ein, oder war das Geräusch lauter als sonst? Klagender? Wütender? Oder hatten die zwei Wochen in London seine Sinne geschärft und seine Nerven noch mehr auf die subtilen Nuancen von Verlust und Schmerz sensibilisiert? Als das zweite Wehklagen erklang, zuckte er noch nicht einmal zusammen, weil er wusste, dass so markerschütternd und durchdringend diese gespenstischen Laute auch waren, das Schlimmste noch bevorstand.
    Jemand spielte Klavier. Lottie blieb stehen, als die Töne aus einiger Entfernung an ihr Ohr drangen, langsam, süß und eindringlich. Zuerst konnte sie nicht feststellen, um welches Stück es sich handelte, dann aber erkannte sie es als den ersten Satz der Sonate von Beethoven, die nach seinem Tod als
Mondscheinsonate
bekannt geworden war.
    Die Melodie war wunderschön, doch es schien, als beklagte sie einen unaussprechlichen Verlust. Lottie spürte, wie ihr die Kehle eng wurde. Einen Moment lang fragte sie sich verwirrt, ob sie vielleicht ihr Bett nicht verlassen hatte, um ein Gespenst zu suchen, sondern in einen Traum geglitten war, in dem sie dazu verurteilt war, auf ewig über die einsamen Korridore von Oakwylde Manor zu wandeln, nur mit der flackernden Kerze und der berückend traurigen Melodie, um sie zu leiten.
    Dem Sirenengesang folgend, schritt sie eine gewundene Treppe nach unten. Sie hatte kein einziges Mal das Wehklagen gehört, seit sie aus ihrem Schlafzimmer gekommen war, den Kerzenhalter in den bebenden Fingern. Mit leichten Schritten durchquerte sie die mondbeschienene Eingangshalle und wandte sich nach rechts, ging mehrere Minuten lang, bis sie sich schließlich auf einem weiten Korridor befand, den auf beiden Seiten verschlossene Türen säumten. Sie blieb stehen, um zu lauschen. Die wehmütigen Töne schienen zugleich von überall und nirgendwo herzukommen. Eine Hand schützend vor die flackernde Kerzenflamme haltend, machte sie sich auf den Weg in die Halle und probierte der Reihe nach jede der Türen. Sie ließen sich mühelos öffnen und mündeten alle in stille

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