Eine skandalöse Lady
entschlossen, jeder Zoll wie die Hausherrin auszusehen, wenn ihr Ehemann sie das nächste Mal erblickte. Dann würde er erkennen, dass sie bei weitem kein altkluges Kind war, sondern eine Frau, mit der man rechnen musste.
Ihr Magen knurrte. Sie schaute auf die Uhr, die an der dünnen Goldkette um ihren Hals hing. Sicherlich gab es viel praktischere Wege, sich einer unerwünschten Frau zu entledigen, als sie verhungern zu lassen. Das Kinn in die Hand gestützt, malte sie sich Lauras und Sterlings Bestürzung aus, wenn sie ein Paket erhielten, in dem sich nichts anderes befand als ihre ausgeblichenen Knochen und eine Bekundung des Bedauerns von ihrem Ehemann. Bedachte man, dass sie noch nie in den zwanzig Jahren ihres Lebens freiwillig eine Mahlzeit hatte ausfallen lassen, würden sie wenigstens wissen, dass es Mord gewesen war.
Ein Klopfen ertönte an der Tür und erschreckte Lottie so sehr, dass sie beinahe von der Truhe gefallen wäre. Sie lief zur Tür und blieb dann stehen, bis ihr Atem sich beruhigt und sie sich ihre Haare glatt gestrichen hatte, ehe sie sie öffnete, denn sie wollte nicht, dass der Lakai, der geschickt worden war, sie zum Essen nach unten zu begleiten, etwas von ihrem Eifer bemerkte. Denn schließlich bestand keinerlei Notwendigkeit für sie, nervös zu sein. Hayden war derjenige, der beschämt seinen Kopf senken müsste, nachdem er sie vor versammelter Dienerschaft herabgesetzt hatte.
Sie öffnete die Tür. Es war kein Lakai, sondern ein rothaariges, sommersprossiges Dienstmädchen, das vor ihr stand, ein Tablett in den Händen und ein entschuldigendes Lächeln auf den Lippen. »Miss Martha dachte, Sie wären vielleicht hungrig nach der langen Reise, Mylady.«
»Wie umsichtig von ihr.« Mit einem schwachen Lächeln nahm Lottie das Tablett entgegen.
Das Mädchen eilte geschäftig durch das Zimmer, zündete mehrere Bienenwachskerzen und das Feuer im Kamin an. Sie erbot sich, Lottie beim Umkleiden für die Nacht zu helfen, aber Lottie lehnte ab und war bald darauf wieder allein.
Es schien, ihr Ehemann war es zufrieden, dass sich eine Dienerin um ihr Wohl kümmerte. Vielleicht saßen er und seine Tochter gerade in diesem Augenblick in einem eleganten Speisesaal und nahmen ein üppiges Mahl zu sich. Da sie sich weigerte, sich von der Vorstellung den Appetit verderben zu lassen, aß Lottie mit ungezügelter Begeisterung und verzehrte das frisch gebackene Brot und den herzhaften Bohneneintopf bis auf den letzten Bissen. Martha hatte sogar daran gedacht, eine großzügige Portion von zerkleinerten Bücklingen und Hühnchenfleisch für die Katzen mitzuschicken. Wenigstens hatte ihr herzloser Ehemann die Tiere noch nicht in die Scheunen verbannt. Oder seinen Schneider kommen lassen, um für drei Paar neue Handschuhe Maß zu nehmen.
Nachdem sie gegessen hatte, löste Lottie den Haarknoten und kämpfte sich aus ihrem eleganten Abendkleid, wobei sie in ihrer Achtlosigkeit ein gutes Stück der kostbaren venezianischen Spitze am Saum abriss. Sie wühlte sich durch die Reisetruhen, bis sie schließlich ihre Nachthemden fand.
Obenauf lag eines, das sie noch nie zuvor gesehen hatte. Als sie es im Kerzenlicht hochhielt, glitt die durchsichtige Seide wie Wasser durch ihre Finger. Die Berührung an sich war schon ein sinnliches Vergnügen. Es war ein Kleidungsstück, das für einen besonderen Zweck angefertigt worden war – um die Lust der körperlichen Liebe zwischen Mann und Frau zu schüren.
Von einer Woge der Einsamkeit überwältigt, drückte Lottie den Stoff an die Wange. Sie konnte fast vor sich sehen, wie Laura und Diana ihn sorgfältig zusammenfalteten und in die Truhe legten, zusammen mit all ihren Hoffnungen und Träumen für Lotties Zukunft.
Sie stopfte das Negligee wieder zurück und zog eines ihrer ältesten und schäbigsten Nachthemden hervor. Der vertraute Stoff hüllte sie tröstend ein, als sie schließlich alle Kerzen bis auf eine ausblies und in das kalte, fremde Bett stieg. Während Kürbis und Mr. Zappel sich auf ihren Füßen zusammenrollten, machte es sich Mirabella auf Lotties Kissen bequem und begann, sich einer weiteren ihrer Lieblingsbeschäftigungen hinzugeben: an den Haaren ihrer Herrin zu knabbern. Das Kätzchen war so klein, dass Lottie die Hälfte der Zeit besorgt war, sie würde sich aus Versehen im Schlaf darauflegen und es erdrücken.
Lottie lag da und beobachtete das Spiel der Schatten, die das im Kamin flackernde Feuer an die Wand warf. Der Wind säuselte kummervoll
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